0645 - Das Teufels-Denkmal
davon, mir den Toten genau ansehen zu wollen.
»Richtig, John«, sagte auch Suko. »Wahrscheinlich haben wir den gleichen Verdacht. Er kann durch den Schatten umgekommen sein. Der Tod hat ihn plötzlich getroffen. Hätte er bemerkt, dass er sterben würde, Himmel, er hätte sicherlich seinen Sohn eingeweiht. Oder bist du da anderer Ansicht?«
»Nein, Suko.«
»Aber warum?«, zischelte Harry Stahl. »Warum soll der Schatten den Mann ermordet haben?«
Ich hob die Schultern. »Das weiß ich auch nicht. Ich kann nur annehmen, dass es mit dem Denkmal zusammenhängt, von dem uns Branco immer wieder berichtete.«
Stahl starrte in das Feuer. Wir alle sahen ziemlich mitgenommen aus, aber wir spürten auch das Kribbeln in uns. Ein Zeichen, dass diese Nacht noch lang werden würde.
Ich schaute auf die Uhr.
Nicht ganz eine Stunde würde noch vergehen, bis die Tageswende eintrat. Eine sehr kurze Zeitspanne, in der trotzdem einiges passieren konnte. Mich interessierte nach wie vor der Tote, zudem beschäftigte mich ein bestimmter Verdacht.
Sukos Gedanken bewegten sich in eine andere Richtung. »Hier wurde von einem Denkmal gesprochen, John. Wenn es dieses Zeichen tatsächlich gibt, müsste es doch irgendwo hier in der Nähe stehen.«
»Richtig.«
»Ich würde es gern suchen.«
»Und ich auch.«
Scharf schaute ich Suko an. »Denkst du auch an Leipzig?«
»Und ob ich daran denke. Ich kann dir versprechen, dass ich mich nicht mehr so reinlegen lasse.«
»Außerdem sehen vier Augen mehr als zwei.«
»Das stimmt, Harry. Okay, meinetwegen geht. Nur wisst ihr nicht, wo ihr das Denkmal finden könnt. Es kann überall sein. Auch wenn es in der Nähe ist, könnt ihr euch verlaufen.«
»Wir gehen einen Kreis.« Suko ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen.
»Okay denn.«
Die beiden zogen sich zurück. Erst langsam, sie wollten nicht gesehen werden. Nach einer gewissen Distanz wurden sie schneller, dann hatte sie die Finsternis verschluckt.
Ich blieb allein zurück.
Keiner sprach mich an oder benahm sich direkt feindlich mir gegenüber, dennoch kam ich mir vor wie ein Eindringling, der das normale Leben der Zigeuner durcheinander brachte.
Ich hatte mich schon abseits hingestellt. Jetzt sah ich auch die ersten Kinder, die aus den Zelten und Wohnwagen kamen. Sie beobachteten mich neugierig und gleichzeitig misstrauisch.
Allein vom Aussehen her passte ich nicht zu dieser südländisch aussehenden Sippe.
Mir ging der Tote nicht aus dem Sinn. Ich wollte ihn sehen, ihn untersuchen, weil ich meinen Verdacht einfach nicht loswurde. Da konnte ich machen, was ich wollte.
Ohne es direkt gesteuert zu haben, zog ich mich vom Rand des Lagers und damit auch aus dem Restschein des Feuers zurück, um in der Dunkelheit Deckung zu finden.
Man würde mich im Lager nicht vergessen haben, aber die Menschen hatten anderes zu tun, als mich unter Kontrolle zu halten. Der Schock über den Tod des Anführers saß tief. Ich kannte mich in den Trauerritualen der Zigeuner nicht aus, konnte mir aber vorstellen, dass sehr bald bestimmte Klagegesänge durch die Nacht hallen würden.
Ich schlug einen Bogen, um den anderen Rand des Lagers zu erreichen, denn ich wollte nicht durch das Zelt und den hinteren Eingang den Wagen betreten.
Weitere Wachen waren nicht aufgestellt worden. Branco war uns wohl auch mehr zufällig in den Weg gelaufen. Ohne entdeckt zu werden, erreichte ich einen bestimmten Punkt und blieb dort stehen. Vor mir befand sich die Front des Wohnwagens. Gezogen wurde das Fahrzeug von einem älteren Mercedes. Der Wagen interessierte mich nicht, ich konzentrierte mich auf den seitlichen Eingang des Wohnfahrzeugs und hoffte, dass er nicht verschlossen war.
Die schmale Klinke verschwand in meiner Hand, als ich sie zur Faust schloss.
Ein Versuch, ein Lächeln, die Tür war offen.
Mir fiel ein kleiner Stein vom Herzen. Dennoch schaute ich mich erst um, bevor ich die Tür ganz aufzog und mich in den Wohnwagen hineinschob. Dunkel war es nicht, die kleine Lampe sorgte dafür, dass ich etwas sehen konnte.
Sofort umfing mich eine bestimmte Atmosphäre. Ich konnte nicht einmal von der Aura des Todes sprechen, die ist wohl kaum erklärbar, aber hier hatte sich die warme Luft zwischen den Wänden gesammelt und strich über mein Gesicht, als ich vorging.
Die Einrichtung des Wagens bestand aus sehr alten Möbelstücken. Da war das voluminöse Sofa ebenso zu sehen wie die Stühle mit den bogenförmigen Polstern. Tischbeine standen auf dicken
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