0646 - Der Templer-Jäger
Sekunden geschah, bekam Balmain kaum mit. Jedenfalls gelang es ihm, den Stein aus dem Boden zu zerren und festzuhalten. Und er war eine Waffe.
Wie ein Blitz schoss es durch seinen Kopf. Er sah das Gesicht, dachte an den Stein und schleuderte ihn vor.
Treffer!
Er hörte es klatschen, als hätte jemand eine Faust in weichen Teig gehämmert. Haut riss auf, Blut spritzte, eine Nase war plötzlich keine mehr, und was der Kommissar nicht für möglich gehalten hätte, trat plötzlich ein.
Die Untote ließ ihn los.
Sie selbst verspürte keine Schmerzen, war aber durch den Aufprall irritiert worden, presste eine Hand vor das blutende Gesicht und fiel zurück.
Als sie aufschlug, wusste Balmain, dass eine derartige Chance nicht zweimal kommen würde. Er ließ seine Pistole liegen, stand so schnell auf wie nie zuvor in seinem Leben und hatte das Gefühl, jeden Augenblick einzubrechen, so stark zitterten seine Knie.
Trotzdem kam er weg. Und er ging nicht, er rannte, was seine Beine hergaben.
Aus dem Düstern tauchte er hervor wie ein zuckender Schatten, der keuchte und irgendwann gegen eine Mauer stieß, die er im letzten Augenblick gesehen hatte. Zum Glück verletzte er sich nicht am Kopf.
Balmain war nicht mehr der jüngste. Hinzu kam das verdammte Wetter, das ihm auch zu schaffen machte. Mit noch immer weichen Knien stolperte er weiter.
Wo er hingehen sollte, wusste er nicht. Er wollte nur weg und taumelte durch die schmale Einfahrt, wobei er mit beiden Schultern an den Mauern entlangschrammte.
Es war die Hölle gewesen, die hinter ihm lag. Der Hauch des Todes hatte ihn gestreift. Im letzten Augenblick war er einem fürchterlichen Schicksal entgangen. Das kam ihm erst richtig zu Bewusstsein, als er sich außerhalb der schmalen Gasse an eine Hauswand lehnte, tief durchatmete und versuchte, Herr über seinen Schwindel zu werden, der einfach nicht weichen wollte.
Der Schweiß lag fast fingerdick auf seinem Gesicht. In den Augen stand die blanke Furcht. Seine Kleidung war mit Dreck verschmiert, er kam sich vor wie der letzte Penner - aber er lebte.
So gut es ging, legte er den Kopf zurück und berührte die Hauswand. Über sich hörte er Stimmen aus einem offenen Fenster dringen, vermischt mit den Gerüchen eines scharf gewürzten Gerichts.
Er wollte weg, seine Beine waren ihm zu schwer geworden, deshalb musste er sich erst einmal ausruhen. Es war schwer für ihn, klar und logisch zu denken, der Schock saß einfach zu tief.
Jemand sprach ihn an. Ein alter Mann, der wissen wollte, ob ihm nicht gut war.
Balmain lachte. Es brach aus ihm heraus, so stark, dass der besorgte Frager zurückwich. Die folgende Antwort begriff er auch nicht. Immer wieder wurden die Worte von einem Lachen unterbrochen.
»Siehst du nicht, wie gut es mir geht, mon ami? Es geht mir blendend. Verdammt, ich lebe. Ja, ich lebe. Du glaubst gar nicht, was das für ein irres Gefühl ist, zu leben.«
Der Mann ging noch weiter zurück. »Klar, Bruder, klar, das Leben ist toll und auch beschissen.«
Dann lief der Mann weg, verfolgt vom Lachen des Kommissars, dessen Gefühlsausbruch erst nach und nach verschwand und er sich um seine Wunden an den Handgelenken kümmern konnte.
Da er nur ein Taschentuch besaß, musste er es in zwei Hälften teilen. Das schaffte er mit einem Taschenmesser. Das Reißen klang dabei wie Musik in seinen Ohren.
Er umwickelte seine Gelenke. Jetzt war er einigermaßen zu sich gekommen. Er verspürte einen beinahe schon wahnsinnigen Durst. Kleine Lokale und Bistros verteilten sich überall in Paris, auch in den ärmeren Gegenden. Da waren sie oft origineller als die auf den berühmten Prachtstraßen.
In einem fand er Schatten und Kühle, zudem einen freien Tisch, bestellte einen Krug Eiswasser und einen doppelten Pernod. Am liebsten hätte er das Wasser über seinen Kopf geschüttet.
Als die Wirtin nicht aus seiner Nähe weichen wollte, fragte er unwillig: »Was ist, Madame?«
»Sind Sie nicht Kommissar Balmain?«
»Ja.«
»Ich habe nichts getan. Sie hatten mich vor Jahren mal wegen einer kleinen Nutte verhört…«
»Das ist vergessen.«
Die Wirtin war kaum breiter als ein Besenstiel. Dafür standen die Haare hoch vom Kopf ab. »Aber es geht Ihnen heute nicht gut, Kommissar?«
Er trank den ersten Schluck Pernod. »Doch, Madame, es geht mir verdammt gut.«
»Dann bin ich zufrieden.« Sie zog sich zurück, und Balmain konnte nachdenken.
Sein Verstand arbeitete wieder normal. Er erinnerte sich auch an die Worte, die
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