Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
065 - Der Geisterreiter

065 - Der Geisterreiter

Titel: 065 - Der Geisterreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hivar Kelasker
Vom Netzwerk:
Mähne fest, wurde aber abgeschüttelt. Ein zischendes Pfeifen. Die Reitpeitsche des Hunnen klatschte um Fingerbreite an meinem Gesicht vorbei. Ich rollte in das hohe Gras und schlug mich an einem Stein blutig.
    „Zurück du Mähre!“ tobte der Hunne. Er galoppierte wieder zurück, ließ das Pferd wenden und versuchte den zweiten Sprung. Dabei galoppierte er genau auf mich zu. Das Tier hatte die Augen weit aufgerissen. Ich sah den schreckerfüllten Blick und rollte, so schnell ich konnte, seitlich über den Boden. Dann schlugen die Hufe dicht neben meinen Füßen ein. Das Pferd sprang hoch – und kam haarscharf über den Zaun.
    Ich beobachtete diesen Gewaltsprung.
    Das Tier schien einen Augenblick lang in der Luft zu schweben, aber es kam ungünstig auf. Die Vorderbeine knickten ein, der Kopf rammte gegen den Boden und der Hunne wurde aus dem Sattel geschleudert. Er flog waagerecht durch die Luft, riß die Arme hoch und kam mit den Füßen auf. Dann lief er geradeaus weiter und hielt, was ich ganz erstaunlich fand, ein Schnellfeuergewehr in der linken Hand.
    Wieder stieg eine Leuchtkugel hoch.
    Wagen kamen näher. Überall schrien Männer, quarrten Stimmen aus kleinen Lautsprechern, dazwischen wieherte ein Pferd.
    Ich war unfähig, mich zu rühren. Es schien, als erschlafften meine Muskeln einzeln und hemmten jede Bewegung. Es war wohl die Reaktion auf die Furcht und den Schrecken, die ich ausgestanden hatte.
    Jenseits des Zaunes kam das Pferd wieder auf die Beine und lief dem Hunnen mit baumelnden Steigbügeln nach.
    Ganz in meiner Nähe hielt jetzt ein Wagen. Ich achtete nicht weiter darauf, sondern lag, das Kinn auf meine Unterarme gestützt und blickte in die Richtung, in der Torras zwischen Isolatoren, Schutzmäuerchen und Kabeln der Schaltstation verschwunden war. Der Hengst trabte ihm nach und wieherte leise.
    Schritte näherten sich aus verschiedenen Richtungen. Hände griffen nach mir und hoben mich auf.
    Irgendwie konnte ich es immer noch nicht fassen, daß ich dem Hunnenfürsten entkommen war. In mir war ein seltsames Gefühl der Leere.
    Ein junger Mann in der Uniform des Grenzschutzes sah mich prüfend an. Er erinnerte mich an jemand – an wen nur?
    „Jürgen!“ hörte ich mich sagen.
    „Wer ist Jürgen?“ fragte eine helle Stimme.
    „Ich will Jürgen sehen – sofort!“ begehrte ich eigenwillig. „Wo ist er?“
    „Keine Ahnung, mein Fräulein. Wir werden versuchen, den Herrn aufzutreiben. Inzwischen sollten Sie sich in unseren Mannschaftswagen setzen. Die Polizei ist bereits unterwegs, vielleicht weiß sie mehr …“
    „Danke“, sagte ich leise. Ich schämte mich. „Bitte, entschuldigen Sie, ich bin …“
    „Schon gut“, winkte er ab. „Der Herr da …“, er deutete in Richtung der Umspannstation. „Hat Sie wohl nicht gerade zart behandelt. Jetzt brauchen Sie keine Angst mehr zu haben! Gleich ist es aus mit ihm!“
    Ich nickte und ließ mich von ihm zu dem Auto führen, von dem aus ich den Einsatz miterleben konnte.
    Von allen Seiten stürmten bewaffnete Männer heran und verteilten sich um die Station. Ununterbrochen leuchteten jetzt diese verflixten Leuchtkugeln auf und sanken flackernd, einen Faden verbrannter Gase hinter sich herziehend, zur Erde zurück.
    Alle Scheinwerfer waren auf den Zaun gerichtet und somit auf den Hunnen, der sich in diesem Viereck verborgen hielt. Ein Megaphon wurde eingeschaltet und erfüllte die Nacht mit einem weithin hallenden Ton.
    „Letzte Warnung! Geben Sie auf! Wir haben die Station umstellt … Sie haben nicht die geringste Chance, zu entkommen!“
    Viele solcher Parolen wurden in die Nacht gebrüllt. Ich hörte gar nicht mehr hin und hatte das Gefühl, mich ginge der ganze Zauber da draußen nichts an. Ich hatte nur noch den Wunsch, zu schlafen und zu vergessen.
    „Feuer frei!“ erklang es plötzlich wie von weit her.
    Es dauerte eine ganze Weile, ehe ich begriff, daß die Töne aus einem kleinen Lautsprecher dicht neben meinem Knie kamen.
    „Seid ihr wahnsinnig? Das ist schließlich eine Energiestation! Seht ihr nicht die Hochspannungsleitungen?“
    Wie im Traum erlebte ich den Fortgang der Jagd nach dem Hunnen. Irgendwo dort drinnen, von dieser Seite aus nicht sichtbar, steckte der Fürst, nur begleitet von einem gestohlenen Pferd, das ihn als seinen Herrn anerkannte.
    Wieder plärrte das Megaphon.
    „Geben Sie auf! Wir eröffnen das Feuer!“
    Eine erwartungsvolle Stille trat ein, die lediglich von dem Wiehern des verängstigten

Weitere Kostenlose Bücher