065 - Rendezvous mit dem Sensenmann
bald sein werdet. Habt ihr seinetwegen all die Mädchen umgebracht mit eurem Zauber?"
„Du weißt nicht, was du redest", sagte nun eine der vier Alten mit klarer, energischer Stimme. „Geh hinauf in dein Zimmer. Wir sprechen uns später. Dann sollst du für alles eine Erklärung erhalten." Coco warf den Kopf zurück.
„Auf die Erklärung bin ich gespannt. Ich warte auf euch."
Sie verließ nun das Zimmer. Hart fiel die Tür hinter ihr ins Schloß. Zwei der vier alten Frauen jammerten und zeterten.
„So etwas, furchtbar!"
„Der arme Monsieur Beaufort! Diese Furie hat ihm die Perücke abgerissen. Wir wollen sie ihm wieder aufsetzen, Lucia."
Eine nervöse alte Frau hob die Perücke vom Boden auf. Eine andere, groß und mit energischen Gesichtszügen, ging zur Tür und schloß ab.
„Wir fahren mit der Beschwörung fort", sagte sie mit metallisch klingender Stimme. „Wir dürfen nicht zögern und uns nicht irritieren lassen. Das sind wir Monsieur Beaufort schuldig. Der Wille des Meisters muß erfüllt werden, Schwestern."
Sie löschte das Licht. Ich hörte Stühlescharren, und die vier nahmen wieder am Tisch Platz. Natürlich fragte ich mich, weshalb Stanislas Beaufort sich die ganze Zeit nicht geregt und kein Wort gesprochen hatte.
Das unheimliche grünliche Licht erschien wieder. Die Gesichter der alten Frauen zeigten einen Ausdruck größter Konzentration. Die Umwelt versank für sie. Wieder ertönten Beschwörungen. Manche Formeln verstand ich nicht, aber von anderen hatte ich schon gehört. Es waren scheußliche Sprüche der Schwarzen Magie, Bannformeln einer Abart des Okkultismus, vor der die meisten Anhänger dieser Geheimwissenschaft zurückschreckten.
„Satanas!"
„Stanislas Beaufort, dein Diener, ruft zu dir. Gib ihm die Kraft!" „Meister!"
„Meister!"
Ich wandte den Kopf und sah nach Elise. Sie saß auf der Bank wie zuvor. Im Salon kreischten und riefen die vier Alten in Französisch, Lateinisch und einer Geheimsprache des Okkultismus. Ich spürte, wie das Böse sich manifestierte, wie dunkle Kräfte freigesetzt wurden.
Plötzlich hörte ich ein Geräusch im Garten. Ich sah mich um. Eine Gestalt trat aus den Ginsterbüschen, groß, mit einem schwarzen Umhang und einer Kapuze. Ein Totenschädel, von einem schwachen goldenen Schimmer übergossen, grinste unter der Kapuze.
Die Schreckenserscheinung trug goldene Handschuhe und hielt eine goldene Sense mit langem geschwungenem Stiel in der Rechten.
Elise war so entsetzt, daß sie keinen Ton herausbrachte.
„Elise, mein Kind", sagte der Schreckliche mit dumpfer Stimme. „Endlich lerne ich dich kennen.
Ich würde dich gern zur Braut nehmen, aber du warst mir untreu. Deshalb mußt du sterben."
Die schwarze Gestalt holte mit der goldenen Sense weit aus.
Elise ließ sich mit einem Schreckensschrei von der Bank fallen. Die Sense zischte über sie hinweg. Ein höhnisches Kichern erklang hinter der Maske.
„Gib dir keine Mühe. Du entkommst mir nicht, meine Schöne."
Als der Tod wieder ausholte, spurtete ich los. Mit einem Hechtsprung warf ich mich auf die schwarze Horrorgestalt. Der Körper unter dem Umhang gab nach. Dann spürte ich etwas Hartes.
Im nächsten Augenblick hatte der Fürchterliche mich gepackt und mit schrecklicher Wucht auf den Boden geworfen. Im ersten Moment glaubte ich, mein Rückgrat sei gebrochen. Benommen blieb ich liegen.
Elise flüchtete schreiend durch den Park zur hinteren Pforte. Ich sah alles verschwommen, aber ich erkannte, daß der Tod mit der goldenen Sense ihr lautlos und mit unheimlicher Schnelligkeit folgte. Das war mein Glück. Er hätte mich leicht erledigen können. Ich wollte aufstehen, aber mein »Körper gehorchte mir nicht.
Das Fenster des Salons wurde geöffnet. Zwei der alten Damen blickten heraus, offensichtlich davon überrascht, daß das schreckliche Geschehen sich diesmal direkt in ihrer Nähe abspielte.
„Es ist wieder nicht gelungen!" jammerte die eine. ,,Die Kraft wirkt nicht so, wie wir es haben wollen."
„Still!" befahl die andere. „Das ist noch nicht heraus. Erst muß Elise tot sein. Dann werden wir sehen, ob ihre Lebenskraft endlich das bewirkt, was wir erstreben."
„Sieh doch nur, da liegt ein Mann. Wie kommt er hierher?"
„Das weiß ich nicht. Aber er darf nicht entkommen. Er darf nicht weitererzählen, was er hier erlebt hat. Los, Lucia, hol Jean. Er soll sich um ihn kümmern. Wir warten ab, was mit Monsieur Beaufort geschieht."
Mir gelang es nun, mich mühsam zu
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