0652 - Der Bogie-Mann
mordet er, dann kennt er keine Gnade.« Dermott nickte. »Ja, man muss ihm den nötigen Respekt erweisen.« Er saugte an der Zigarette, bekam den Rauch in die falsche Kehle und fing an zu husten. »Man hat es nicht getan.«
»Deshalb mordete er. Wir haben ein Grab entdeckt.«
Dermott trat die Zigarette aus. »Ich weiß, denn ich kenne es.«
»Dann kennst du noch mehr Gräber?«
»Nicht alle.«
»Und die Kinder?«
»Er hat sie sich geholt, Sinclair. Er hat sich tatsächlich die Kinder geholt. Ich wusste das.«
»Und warum hast du nichts dagegen getan?«
Dermott legte den Kopf schief. »Er hat, sie nicht mehr, Fremder. Die Kinder sind weg. Ich habe sie gefunden, ich habe sie befreit und das weiß der Bogie-Mann.«
Ich war nicht so ganz mitgekommen. »Moment mal, du hast die Kinder aus seinen Klauen befreit?«
»So ist es.«
»Wann denn?«
»Heute. Und darauf bin ich sehr stolz.«
Ich schlug ihm auf die Schulter. Seine Kleidung war feucht. »Das kannst du auch sein.«
»Nur bin ich jetzt sein Feind. Ich weiß, dass er mich töten will. Ich habe mir die alte Mühle ausgesucht, um auf ihn zu warten. Er wird kommen und versuchen, mich umzubringen.«
»Das kann ich mir denken.« Ich dachte einen Moment scharf nach. »Wie bist du hergekommen?«
»Mein alter Jeep steht hinter dem Haus. Hast du ihn nicht gesehen, Sinclair?«
»Nein.«
»Er ist nicht mehr der Beste, aber er schafft die Strecke noch. Darauf kommt es an.«
»Gut, dann werden wir gemeinsam auf ihn warten. Ich will ihn nämlich auch haben. Seinetwegen bin ich gekommen.«
»Mit Tippy, nicht?«
»Du kennst sie?«
»Klar, sie und ihre Schwestern. Sie sind in der Gegend bekannt.« Dermott räusperte sich. »Nur verstehe ich nicht, dass sie weggelaufen ist. Ich habe euch beobachten können.«
»Sie hatte Angst.«
Er hob die Schultern. »Mag sein.«
»Wieso? Glaubst du mir nicht?«
»Ich weiß nicht, was ich alles glauben soll, John Sinclair. Ich werde einfach abwarten.«
»Wobei du davon ausgehst, dass er kommt, um dich zu töten?«
»So ist es. Er muss es tun. Er kann nicht hinnehmen, dass es jemanden gibt, der seine Pläne stört.«
»Wenn du so gut über ihn Bescheid weißt, Dermott, darf ich dann fragen, wie er aussieht?«
»Ja, das darfst du. Es gibt ihn ja nicht nur einmal, erzählt die Legende. Er ist öfter vorhanden. Man beschreibt ihn als schwarze Erscheinung, gedrungen, behaart, mit hässlichem, grinsendem Gesicht. Dann soll er noch nach Schwefeldampf stinken, weil er direkt aus der Hölle und von des Teufels Thron stammt. Aber er kann auch andere Gestalten annehmen und Menschen täuschen.« Dermott nickte und wiederholte sich mit versonnen klingender Stimme selbst. »Ja, das kann er…« Plötzlich riss er die Brechstange hoch.
Ehe ich mich versah, drückte er die flache Spitze gegen meinen Hals.
»He, was soll…?«
»Ganz ruhig, Junge, ganz ruhig. Ich habe eben von einer anderen Gestalt gesprochen. Begreifst du?«
Ich lachte ihn an. »Du meinst also, dass der Bogie-Mann in meiner Gestalt steckt?«
»Wäre das so unmöglich?«
»Nein, das nicht.« Ich sah, dass seine Augen in wildem Jagdfieber funkelten. »Keine Sorge, ich bin es nicht.«
»Kannst du es beweisen?«, zischte er über die Brechstange hinweg in mein Gesicht.
»Ich kann dir meinen Ausweis zeigen.«
»An den glaube ich nicht.«
»Dann musst du mir gestatten, dass ich etwas unter meinem Hemd hervorhole.«
»Was denn?«
»Gestattest du es mir?«
Er zögerte eine Weile. »Wenn ich aber merke, dass du mich betrügen willst, steche ich zu.«
»Dagegen habe ich nichts.«
»Dann los!«
Ich fasste hinter meinen Kopf und nahm die Silberkette zwischen die Fingerspitzen. Ich zog an ihr und gleichzeitig rutschte das Kreuz von der Brust hoch in Richtung Kehle. Sein Anblick musste eigentlich Beweis genug für Dermott sein. Es war unmöglich, dass der Bogie-Mann mit einem Kreuz durch die Gegend lief.
Dermott bekam große Augen, als er meinen silbernen Talisman entdeckte. »Welch ein Kreuz!«, flüsterte er.
»Sehr richtig. Glaubst du mir nun? Oder denkst du, dass ich als Bogie-Mann ein Kreuz bei mir trage?«
»Nein, das nicht.«
»Na bitte.«
Er nahm die Brechstange von meinem Hals weg, hob die Schultern und sagte: »Man muss eben vorsichtig sein. Ich bleibe bei meinem Plan und warte hier auf ihn.«
»Und ich bin gleich wieder bei dir.«
»Willst du dich draußen umschauen?«
»Klar, nach Tippy.«
Dermott setzte sich auf eine alte Holzbank ohne Rückseite.
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