0656 - Labyrinth der 1000 Tode
Lissabon?
Eine Seele von Stadt. Eine fadogetränkte, weinende Erinnerung an vergangene Zeiten. Ein pulsierender Irrsinn aus Menschen, die jeden Tag und jede Nacht zu einem Fest machen konnten.
Es musste alles zusammen sein, jedenfalls war Lissabon eines nicht - langweilig.
Auf sieben Hügeln gebaut, an der Mündung des Tejo, wo das schier unendliche Meer beginnt, liegt diese Stadt, die schon vor Hunderten von Jahren das Tor zum Kontinent gewesen ist.
Zuerst die Römer, danach die Sueben, ihnen folgten die Westgoten, um anschließend den Mauren die Herrschaft zu überlassen. Die blieben dreihundert Jahre, bis christliche Herrscher sie aus dem Land vertrieben.
Auf der Fahrt hatte mir Joanna noch einiges aus der Geschichte berichtet, von den wilden Kämpfen der Portugiesen gegen die Spanier, die sich später mit den Engländern herumgeschlagen hatten. Ich kam kaum dazu, ihr zuzuhören, denn der quirlige Verkehr nahm meine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch.
Ich wollte sie auch nicht unterbrechen, denn die Gespräche schafften es, sie abzulenken.
Ging man in Lissabon nie zu Bett?
Ich hatte den Eindruck, denn was an diesem späten Abend alles unterwegs war, darüber konnte ich nur den Kopf schütteln. Ob im Auto oder zu Fuß, ob in den Straßenbahnen, die durch derart schmale Gassen rollten, dass links und rechts der Bahnen gerade noch Platz für Fußgänger blieb.
Eingekeilt im Strom der Fahrzeuge bewegten wir uns auf den Tejo zu und damit auch in den ältesten Teil der Stadt, nach Alfama.
Ich unterbrach meine Reiseführerin ja nicht gern, aber die Suche nach einem Parkplatz war ein Problem.
»Wir werden einen finden, John.«
»Darf ich fragen, wo?«
»Nimm die nächste Gasse. Fahr dort hinein.«
»Und dann?«
»Schauen wir mal.«
Sie hatte Humor und Gottvertrauen. Beides brauchte man auch in diesem Wirrwarr aus buntem Licht und tiefen Schatten, rollenden Blechlawinen und vorbeihastenden Menschen, deren Gesichter wie helle Flecken auftauchten und ebenso wieder verschwanden.
Ich drängte mich in die Gasse hinein. Hinter mir kratzte ein anderes Fahrzeug die Stoßstange des Seat an, aber wer nahm das schon so genau. Die Gasse war noch mit Kopfsteinpflaster ausgelegt. Sie war sehr eng, führte bergab und hatte Gehsteige, die kaum breiter als ein ausgestreckter Männerarm waren.
»Und wo können wir halten?«
»Es gibt hier manche Einfahrten, die zu schmalen Hinterhöfen führen.«
»Da ist unser Wagen sicher?«
»Wenn wir bezahlen, immer.«
Ich vertraute ihr. Es war schon schwierig, den kleinen Seat in die Einfahrt zu lenken, aber ich schaffte es. Die Scheinwerfer hellten das Dunkel auf.
Zwei Männer huschten zur Seite. Sie trugen Kopftücher, wie damals die Piraten.
Ich stoppte unter einem vorspringenden Balkon und neben einer besetzten Bank, auf der noch Kerzen standen und ihren Flammenschein über die Gesichter der Alten warfen, die ihren Wein tranken.
Joanna redete mit ihnen, während sie ein paar Scheine überreichte.
»Jetzt kannst du sicher sein, dass nichts passiert. Es würde gegen die Ehre der Menschen gehen.«
Ich schlug ihr auf die Schulter. »Stark gemacht, Mädchen. Du bist klasse.«
»Sag nicht so etwas.«
Wir verließen die Einfahrt und standen wieder in der Gasse. Da war wohl jede eine Welt für sich und immer anders. Ich wusste nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte und ließ mich kurzerhand von den Düften und Gerüchen einfangen.
Dunkel war der Himmel über Lissabon. Blau schimmernd, übersät mit Sternen. Trotz der engen Gassen konnte ich hochschauen zu den Hügeln. Über den Dächern des uralten Stadtteils Alfama thronten die kuppelgekrönte Kirche Igreja-Panteao de Santa Engracia und die Abtei Sao Vicente. Beide angestrahlten Gebäude schimmerten in einem gelblichen Weiß. Sie sahen für mich aus, als wären sie aus einer anderen Welt in diese herabgestiegen, um Zeichen für die Ewigkeit zu setzen.
Ein wunderschönes Bild. Meine Begleiterin ließ mir die Zeit, mich davon gefangen nehmen zu lassen, und der Fall sowie Nando Morcote waren weit, sehr weit weg.
Joanna hakte sich bei mir unter. »So schön es auch ist, John, wir müssen gehen.«
»Sorry.«
So stürzten wir uns in den Trubel, in die Düfte, die nicht nur der Knoblauch ausströmte, der sogar blühend und als Blumen gebunden an jeder Ecke angeboten wurde, ich roch auch den aus den Häusern dringenden Duft von gegrillten Sardinen oder in Öl gebratenen Fischen.
Oft waren die kleinen Häuser mit bemalten Kacheln
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