0656 - Labyrinth der 1000 Tode
verziert. Eine uralte Handwerkskunst, noch von den Mauren überliefert, war hier erhalten geblieben.
Die weiß-blauen Kacheln zeigten Muster aus Blumen, Ornamenten oder einfach nur ineinander verschlungenes Weinlaub.
Über allem schwebte das sanfte Licht alter Gaslaternen. Es war schon ein Erlebnis, hier unterwegs zu sein. Ich fühlte mich nicht einmal fremd, denn die Menschen waren fröhlich, dann, aber auch traurig oder melancholisch, wenn sie dem Gesang und der Musik des Fado lauschten.
»Wie lange sollen wir noch umherlaufen?«, fragte ich schließlich, als ich feststellte, dass sich Joanna immer mehr umschaute und umsah.
»Ich wollte telefonieren.«
»Wenn du keine Zelle findest, gehen wir in ein Lokal«, schlug ich vor. »Das wird wohl am besten sein.«
»Ja, glaube ich mittlerweile auch.«
»Dann komm.«
Kleine Restaurants oder Cafés gab es wie Sand am Meer. Ich wollte mir aber eines der größeren aussuchen, um sicherzugehen, dass ich dort telefonieren konnte.
Joanna war damit einverstanden. »Ich kenne ein Lokal hier, das wird dir gefallen.«
»Lange will ich mich nicht aufhalten.«
»Wir können trotzdem hingehen.«
»Wie du meinst.«
Es war mehr eine Bar. Zusammen mit einigen anderen Gästen drängten wir uns durch den schmalen Eingang. Ich war überrascht von der Eleganz, denn hinter der schon etwas abgeblätterten Fassade hätte ich sie nicht erwartet.
Das dunkle Mahagoniholz der Bar vermittelte einen Eindruck der Geborgenheit. Die Sitzflächen der runden Hocker waren mit hellem Leder bespannt.
Dort bekamen wir keinen freien Platz mehr. Wie Trauben hingen die Menschen zusammen.
Aber in der Ecke neben den großen Fenstern mit den bunten Butzenscheiben konnten wir noch zwei Plätze an einem schmalen Tisch ergattern. Nicht weit von uns entfernt hatten Musiker ihre Instrumente gegen die Wand gelehnt.
»Manchmal kannst du in solchen Häusern einen Fado-Sänger erleben«, sagte Joanna.
»Der wird nicht dafür bezahlt, er muss es einfach tun, weil es ihn überkommen hat. Er singt, die anderen hören zu und erleben in der Melancholie die Fröhlichkeit. Ein Widersinn, aber es stimmt.«
»Du magst Lissabon?«
»Sehr und auch den Fado.«
»Woher kommt er denn?«
Vor der Antwort wollte ein Kellner unsere Bestellung wissen. Wir entschieden uns für Portwein, und Joanna erkundigte sich auch nach einem Telefon.
»Auf dem Weg zu den Toiletten«, sagte der Kellner. Joanna übersetzte mir die Antwort.
»Dann ist ja alles klar.«
»Hoffentlich.« Sie räusperte sich und schleuderte ihr Haar zurück, das sich gelöst hatte, weil es von den Spangen nicht mehr gehalten wurde. »Du wolltest etwas über Fado hören.«
»Gern.«
Sie hob die Schultern. »Niemand weiß genau, woher er eigentlich stammt. Seit dem letzten Jahrhundert wird er gesungen und hat seinen Stammplatz im Herzen der Lissaboner. Wenn jemand spricht, verstummen die Sänger und Musiker, du musst still sein Und nur den Melodien lauschen, die von Schicksal, Schmerz, Liebe und Verlust erzählen. Es geht in den Texten immer um das Leben an sich und dessen Eigenschaften im Besonderen.«
Ich nickte Joanna zu.
Wir bekamen den Portwein. Da ich nicht lange bleiben wollte, beglich ich die Rechnung sofort.
Rotbraun schimmerte der köstliche Wein in den ziemlich großen Gläsern. Bei uns bekam man wesentlich weniger serviert, wenn wir ein Glas Portwein bestellten.
»Auf was trinken wir?« fragte ich.
»Auf die Zukunft.«
»Einverstanden.«
Wir überließen uns dem Moment der Melancholie und ich riss mich beinahe brutal wieder aus dieser Stimmung heraus. »Es reicht, wenn einer von uns telefoniert. Sag deiner Tante Bescheid, dass sie sich mit Suko in Verbindung setzen soll.«
»Das mache ich. Bis gleich.« Joanna nahm noch einen Schluck, rückte den Stuhl zurück und ging quer durch das Lokal, verfolgt von zahlreichen Männerblicken, denn sie fiel selbst unter den zahlreichen weiblichen Personen hier auf.
Es waren Frauen voller Glut mit pechschwarzen Haaren, oft bewusst blass geschminkten Gesichtern, damit das Rot ihrer Lippen stärker hervortrat.
Joanna war kaum außer Sichtweite, da lernte ich das Geheimnis des Fado in der Praxis kennen. Möglicherweise hatte jemand ein Zeichen gegeben und die Gäste reagierten.
Die zahlreichen Stimmen verstummten. Nahe der Bar stand jemand, der eine Gitarre hielt, einen Akkord schlug und anfing zu singen. Es war einer der Kellner, zu erkennen an seinem weißen Hemd und der schwarzen Hose mit den
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