0660 - Die Totenstadt
seine Mundwinkel, dann schob er die Lippen zurück. Nicht nur die normalen Zähne schimmerten im Oberkiefer. Es waren auch zwei dabei, die sehr lang und spitz hervorstachen.
»Kannst du nicht reden?«
Der Blutsauger schwieg auch weiterhin. Und trotzdem schaffte er es, die Erwiderung zu geben. Sie zeichnete sich mitten auf seiner Stirn ab. Dort erschien direkt auf der Haut und wie von unsichtbaren Händen gezeichnet ein Buchstabe.
Es war ein blutrotes D!
Das D für Dracula! Oder - anders ausgedrückt - das D für Dracula II, der früher einmal Will Mallmann geheißen hatte und Kommissar beim BKA der Bundesrepublik Deutschland gewesen war…
***
Wir hatten Clayton Simane noch nie zuvor gesehen und standen auf dem Bahnsteig inmitten des Gewimmels, denn hier stiegen alle Fahrgäste aus, weil der Expresszug seine Endstation erreicht hatte. Im Moment kamen wir uns vor wie bestellt und nicht abgeholt.
Um uns herum wieselten die Japaner. Sie waren aus ihrer relativen Ruhe erwacht und gaben sich ziemlich hektisch.
Da viele von ihnen sicherlich nach einem Taxi Ausschau hielten, blieb uns zunächst diese Sorge erspart.
Mir kam die Luft reiner vor als in Tokio. Außerdem lag Kyoto höher, die Berge grüßten in der Ferne. Über ihre Grate weht ein ständiger Wind, der sich über der Stadt sammelte.
»Wir werden so lange warten, bis der nächste Zug wieder zurück nach Tokio fährt«, murmelte Suko.
»Toll - und dann?«
»Geht es ab nach London.« Er hüstelte. »Außer Spesen nichts gewesen. Müssen wir auch mal kennen lernen.«
»Darauf kann ich verzichten.«
Allmählich leerte sich der Bahnsteig. Neue Reisende trafen nicht ein. Jetzt, wo die Reisenden ihn verlassen hatten, kam er mir so kalt, leer und wenig einladend vor. Auf den Nachbargleisen liefen Züge ein. Eine Frauenstimme meldete sie an. Ich verstand die Sprache nicht.
Europäer sahen wir nur wenige, aber Suko entdeckte einen Mann, der bisher auf einer der Wartebänke gesessen hatte und sich nun erhob, wobei er in unsere Richtung schlenderte.
Mein Freund machte mich auf ihn aufmerksam. Ich drehte mich und sah tatsächlich jemanden, der kein reinrassiger Japaner war. Er lächelte und verbeugte sich leicht, als er vor uns stehen blieb.
»Sie sind Mr. Simane?«
»Ja, ich bin Clayton Simane.«
Suko atmete aus. »Dann brauchen wir doch nicht wieder in Richtung Tokio zu fahren.«
»Bestimmt nicht.« Da er unsere Namen kannte, stellten wir uns nicht erst vor. Das entsprach zwar nicht gerade den Regeln der japanischen Höflichkeit, doch Clayton Simane, in dessen Adern auch europäisches Blut floss, würde es schon verstehen.
»Ich habe bewusst etwas länger gewartet, bevor ich Sie ansprach. Man weiß nie, wie viele Augen beobachten.«
»Rechnen Sie mit Verfolgern?«
Simane lächelte mir zu. »Es hat sich einiges in der letzten Zeit verändert«, erklärte er.
Der Mann war nicht gekleidet wie die Japaner, die wir im Zug gesehen hatten. Er trug eine Stoffhose, ansonsten nur ein helles Hemd und einen Parka mit Gummizug in der Mitte. Diese Mäntel waren ja jetzt wieder groß in Mode gekommen.
Auf seinem Kopf wuchs kein glattes Haar. Er hatte die dunkle, leicht wellige Pracht zurückgekämmt. Die Mongolenfalte an seinen dunklen Augen war nur schwach ausgebildet, ansonsten machte er doch einen ziemlich europäischen Eindruck.
»Da wir nicht wissen, wie es weitergehen soll, werden Sie bestimmt einen Plan gemacht haben, Mr. Simane.«
»Das stimmt, Mr. Sinclair. Ich bin mit dem Auto hier und werde Sie zu Ihrem Hotel bringen.«
»Dann fahren wir nicht zu unserem eigentlichen Ziel?«, fragte Suko.
Simane schüttelte den Kopf. »Nein, nicht sofort. Aber ich wollte Sie noch fragen, ob Sie eine angenehme Reise hatten.«
»Es ging«, erwiderte ich knapp. »Nur der Zwischenfall mit dem Vampir passte uns nicht so recht in den Kram.« Ich deutete an ihm vorbei. »Da, sehen Sie, die Polizisten. Man hat sie alarmiert, weil man jetzt die Gestalt entdeckt hat, die ich mir mit einem Dolchstoß vom Hals halten musste, um mein Leben zu retten.«
Er drehte sich um. Wir schauten zu, wie die Polizisten in den Zug stürmten.
Unser Gastgeber schlug vor, den Bahnhof zu verlassen, da er unangenehmen Fragen aus dem Weg gehen wollte. Später, wir befanden uns bereits vor dem großen Gebäude, stellte Simane die nächste Frage. »Sie haben also einen Toten hinterlassen?«
»Wie man es nimmt. Man kann auch sagen, dass ich ihn erlöste. Was die Polizei jetzt finden wird, ist eine
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