0664 - Der Vampir von Denver
Versprechungen nicht mehr kümmern können.«
William Chang, der seit Jahren unangefochten über Chinatown herrschte, fühlte sich unter Druck gesetzt. Es hatte ihm immer gefallen, sich als Ehrenmann zu sehen, und dazu zählte auch, daß man seine Versprechen nicht brach. Andererseits konnte er das Erwachen des Dämons nicht riskieren. Die Folgen wären furchtbar gewesen.
Langsam hievte er seinen rundlichen Körper aus dem bequemen Ledersessel und ging zum Fenster. Draußen, in einiger Entfernung, lagen die Berge groß und majestätisch vor ihm. Chang hatte sein Büro so gewählt, daß er einen unverbaubaren Blick auf die Rocky Mountains hatte. Sie waren seit jeher die Quelle gewesen, aus der er Kraft und Ruhe schöpfte. Aber heute konnte er diese Wirkung nicht spüren. Statt dessen erkannte Chang mit quälender Gewißheit, daß die Zeit seiner Herrschaft sich dem Ende zuneigte. Etwas, das sich seiner Kontrolle entzog, war in die Stadt gekommen und veränderte sie. Schon bald würde nichts mehr so sein wie früher. Das Ritual war nicht mehr als die Möglichkeit, den Zeitpunkt der Katastrophe nach hinten zu verschieben. Aber das sagte er Qian nicht.
»Gib den anderen Bescheid«, ordnete er statt dessen an, »wir führen heute noch ein Ritual durch. Jin Mei wird eingeweiht.«
Kuanshi sollte weiter schlafen…
***
Fu Long stand unsicher hinter der Eingangstür seiner Wohnung und betrachtete das Geschehen durch Jin Meis Augen. Er verstand nicht, warum Duval die ganze Zeit auf sie einredete, ihr aber nichts Wesentliches sagte. Sie warnte Jin Mei vor ihrem Chef, deutete aber noch nicht einmal an, warum und machte auch keinen Versuch, ihre eigene Rolle in dieser Angelegenheit zu erklären.
Sie benimmt sich wie eine Politikerin, dachte der Vampir irritiert. Politiker, ob in den USA oder in China, redeten viel und sagten nichts. Zumeist gab es dafür zwei Begründungen. Entweder kannten sie die Antwort auf eine ihnen gestellte Frage nicht, oder sie versuchten mit ausweichenden Aussagen eine unangenehme Wahrheit zu verschleiern.
Fu Long zuckte zusammen. Die Wahrheit, die hier verschleiert werden sollte, das begriff er im gleichen Moment, war, daß Zamorra seit einiger Zeit nicht mehr zu sehen war. Nicoles Rede war nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver.
Vor seiner Tür knarrte eine Holzbohle. Zamorra stand unmittelbar vor Fus Wohnung!
Der Vampir sah sich kurz um. Seine Karten lagen überall verstreut herum und waren mit Notizen vollgeschrieben. Er hatte keine Zeit mehr, sie zusammenzusuchen und zu fliehen. Aber er konnte sie auch nicht zurücklassen. Ein Mann wie Zamorra hätte daraus vielleicht die richtigen Schlüsse gezogen.
Fu Long seufzte und versteckte sich hinter der Tür.
Er hatte zwar gewußt, daß der Kampf auf Leben und Tod unausweichlich war, aber er hätte ihn gern noch etwas aufgeschoben. Vor allem, weil Zamorras Auftauchen so perfekt in seinen Plan paßte. Er schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich darauf, die nächsten Minuten zu überleben.
Er sah, wie der Türknauf sich langsam drehte.
Dann brach die Hölle los!
***
Zamorra fluchte leise, als die Holzbohle unter seinen Füßen knarrte.
Er blieb stehen und lauschte in das Halbdunkel hinein, konnte aber kein Geräusch hinter der Tür hören. Entweder war Fu Long nicht zu Hause, oder aber der Vampir wußte bereits, daß Zamorra auf dem Weg nach oben war, und bereitete sich auf den Kampf vor.
Der Parapsychologe schlich zur Tür und legte die Hand auf den Metallknauf.
Hoffentlich ist nicht abgeschlossen, dachte er. Unten im Geschäft redete Nicole zwar immer noch auf Jin Mei ein, aber die würde sich wohl nicht mehr ablenken lassen, wenn er hier oben lautstark die Wohnung aufbrach.
Der Metallknauf ließ sich mühelos drehen.
Zamorra atmete tief durch und zog die Tür einen Spalt auf. Dahinter sah er nur Dunkelheit: Über ihm krachte es laut.
Holz und Steine regneten auf ihn herab.
Er kommt durch die Decke, durchfuhr es Zamorra. Reaktionsschnell warf er sich zur Seite, um dem herunterprasselnden Schutt zu entgehen. Etwas umklammerte seinen Fuß und zerrte ihn durch die herabfallenden Trümmer. Zamorra schrie in dem eisenharten Griff auf und versuchte vergeblich, sich gleichzeitig vor den Steinen zu schützen und sich herauszuwinden. Jetzt erst begriff er, wieviel Kraft ihm das Amulett entzogen hatte. Er war fast wehrlos!
Durch den aufwallenden Staub sah er eine dunkle Gestalt, die ihn mit einer Hand festhielt. Er spürte einen
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