0669 - Blackwood, der Geistermann
Stock gegen Holz schlagen.
Die Stimme kehrte zurück. Diesmal flüsternd: »Habt ihr es gehört! Es war mein Zeichen. Ich habe an die Tür zum Geisterreich geklopft, und sie wird sich uns öffnen.«
Die akustische Untermalung bekam ich ebenfalls mit, denn tatsächlich vernahm ich das Knarren einer Tür, die langsam aufgezogen wurde.
Das kümmerte mich nicht. Mir ging es um etwas anderes, denn ich wusste plötzlich, dass ich die Stimme des Sprechers schon einmal gehört hatte. Sogar noch vor kurzem.
Es war die des Mannes oder des Dämons gewesen, der den Boden des Grabs mit Blut bespritzt hatte. Jetzt erzählte sie Geschichten, als wollte sie versuchen, Hörer in ihren Bann zu ziehen.
Hörer?
Ich dachte an das kratzende Geräusch im Hintergrund. Hatte es sich nicht so angehört wie bei alten Radios?
Meine Gedanken zerrissen, denn das Knarren der unsichtbaren Tür war verstummt.
Stille kehrte ein…
Ich holte scharf Luft. Im Magen spürte ich einen leichten Druck, dann erreichte mich der Sprecher wieder. Er berichtete von einem gefährlichen Geist, der plötzlich in einem alten Haus am Rande von Soho erschienen war, wo angeblich Jack the Ripper des Öfteren vorbeigekommen war. »Diese Geschichte ist blutig, sie ist nichts für schwache Nerven, liebe Zuhörer. Wenn Sie jetzt schon Angst bekommen, sollten sie das Zimmer verlassen und sich irgendwo verstecken. Ich gebe Ihnen die Chance. Schauen Sie auf Ihre Uhr. In fünfzehn Sekunden melde ich mich wieder. Bis dahin haben Sie eine Galgenfrist…«
Die letzten Silben verliefen in einem geheimnisvollen Flüstern, bevor dumpfe Sphärenmusik die Stille ausfüllte und die Zeit somit überbrückte.
»John, was ist los?«
Janes Stimme überlagerte die Musik, die sich zurückzog und mich wieder hineinzerrte in die normale Gegenwart. Ich stand noch immer auf dem Sargdeckel und schaute in die Höhe.
Die beiden Frauen hatten ihren Platz am Grabrand nicht verlassen. Janes Gesicht zeigte Unsicherheit. Sie hatte bemerkt, was mit mir geschehen war, und sie würde Fragen stellen.
Ich erwachte wie aus einem Traum, hob mit einer müden Bewegung die Hand und erklärte ihr, dass sie sich keinerlei Sorgen zu machen brauchte.
»Was hast du denn gehabt?«
»Erzähle ich dir gleich.«
»Den Schrei hast du gehört - oder?«
»Ja, natürlich. Ich werde versuchen, den Sargdeckel anzuheben. Ich muss einfach nachsehen.«
»Was wollen Sie mit meiner Tochter machen?«
»Nichts, Mrs. Ferrer, nichts.« Sie sah aus, als wollte sie in das Grab hineinspringen. Auch Jane Collins befürchtete dies und sie zerrte sie vom Rand weg.
Ich fand zwischen Sarg und Grabwand kaum Platz und musste die Füße schräg stellen. Über den Sarg griff ich dann hinweg, bekam die Riegel zwischen die Finger, konnte sie lösen und zerrte den Deckel hoch.
Ich bekam eine Gänsehaut, als ich auf die Leiche schaute. Das Gesicht interessierte mich, ich war bereit, noch einmal das Kreuz einzusetzen.
Nicht mehr nötig.
Vor mir lag ein siebzehnjähriges Mädchen mit dem friedlichen Ausdruck einer sanft Entschlafenen im Gesicht. Ich hatte dem Teufel ein Opfer entrissen.
Scharf stieß ich die Luft aus und drückte den Deckel wieder zurück. Wenigstens einen ersten kleinen Erfolg hatten wir erreicht. Ich war mir sicher, dass weitere folgen würden.
Langsam drehte ich mich um und drückte mich wieder hoch. »Du hast es gesehen, Jane?«
»Ja.«
»Was ist denn mit Denise?«
»Keine Sorge, Mrs. Ferrer. Ihre Tochter wird die ewige Ruhe bekommen. Das heißt, sie hat sie schon.« Ich fügte noch ein Lächeln hinzu, bevor ich meinen Arm ausstreckte und mir von Jane aus dem Grab helfen ließ.
Natürlich wollte sie eine Erklärung haben, aber nicht jetzt, denn der Friedhofswärter kam mit langen Schritten auf uns zu. Er fuchtelte mit den Händen, war aufgeregt und verlangte eine Erklärung.
»Wofür?«, fragte ich.
»Hören Sie mal, ich bin es leid. Da laufen die sechs Mädchen weg, als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her. Ich sehe Sie aus dem Grab klettern. Haben Sie die Leiche geschändet?«
»Nein. Das Grab kann zugeschüttet werden.«
»Wie toll. Das sagen Sie mir, wie? Ich schätze, wir sollten uns mal bei den Bullen unterhalten.«
»Schauen Sie mal!« Ich hatte meinen Ausweis hervorgeholt und hielt ihm das Dokument vor die Augen.
Er las, schluckte und lachte einmal unsicher. »Das hätten Sie auch vorher sagen können.«
»Wir sind hier nicht zum Vergnügen. Bitte, schaufeln Sie das Grab zu.«
Der Mann
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