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067 - Das Maedchen in der Pestgrube

067 - Das Maedchen in der Pestgrube

Titel: 067 - Das Maedchen in der Pestgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Davenport
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das Lokal‚ Zum Weißen Rauchfangkehrer’.“
    Ich lachte.
    „Ob diese Geschichte tatsächlich stimmt, weiß natürlich kein Mensch“, sagte Helnwein. „Aber sie ist zumindest gut erfunden.“
    Ich nickte. Der Kellner servierte den Rostbraten, der verlockend duftete und genausogut schmeckte wie er aussah. Ich bestellte noch ein Bier.
    „Wollen Sie eine Nachspeise?“ fragte der Kellner, als er abservierte.
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Einen Kaffee, bitte.“ Verlangte ich.
    Der Kellner blickte mich erwartungsvoll an, und Helnwein kam mir zu Hilfe.
    „Sie wollen den Kaffee schwarz, ohne Milch, nicht wahr?“ fragte mich Helnwein.
    Ich nickte.
    Er wandte sich dem Kellner zu. „Einen großen Schwarzen und eine Melange.“
    Helnwein lachte. „Es gibt in Wien an die zwanzig verschiedene Möglichkeiten, Kaffee zu servieren. Und für jede gibt es eine spezielle Bezeichnung.“
    „Was ist eine Melange?“ fragte ich.
    „Das ist eine große Tasse Kaffee mit mehr Milch als in einem großen Braunen.“
    Ich schüttelte den Kopf. „Scheint eine eigene Wissenschaft zu sein, in Wien einen Kaffee zu bestellen.“
    „Da haben Sie recht“, meinte Helnwein. „Sie wollen also dem Haus der Schwestern Reichnitz nochmals einen Besuch abstatten?“
    „Ja“, sagte ich. „Sie können in der Zwischenzeit ja nach Hause fahren.“
    „Soll ich nicht mitkommen?“
    „Nein“, sagte ich entschieden. „Mir wäre es lieber, wenn ich allein gehen könnte.“
    „Aber ich könnte auf Sie warten. Ich …“
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Nein“, sagte ich bestimmt. „Fahren Sie nach Hause!“
    „Wie Sie wünschen“, sagte Helnwein verstimmt.
    Der Kaffee wurde serviert, und ich zahlte. Kurz vor dreizehn Uhr verließen wir das Lokal. Ich verabschiedete mich von Helnwein, sah ihm nach, drehte mich dann um und kehrte zum Stephansplatz zurück.
    Unten im Hauseingang blieb ich kurz stehen, ehe ich auf die Treppe zulief und ins erste Stockwerk huschte. Drei Türen gab es. Ich sah die Namensschilder an: Reichnitz stand auf keinem. Rasch stieg ich weiter nach oben ins zweite Stockwerk. Die erste Tür neben der Treppe war die richtige. Auf einem Messingschild stand: REICHNITZ.
    Im Haus war es ruhig. Ich beugte mich vor und untersuchte das Schloß. Es war primitiv. Jedes Kind hätte es mit einem Nagel aufbekommen. Ich holte mein Spezialbesteck aus der Rocktasche, und innerhalb von zehn Sekunden war die Tür offen.
    Noch einmal blickte ich mich rasch um, dann öffnete ich die Tür und betrat ein verschwenderisch eingerichtetes Vorzimmer. Ich zog die Tür leise hinter mir zu.
    Auf dem staubigen Parkettboden lagen kostbare Teppiche. Die Einrichtung bestand aus echten Barockmöbeln, die jedem Antiquitätenhändler Entzückungsschreie entlockt hätten. Die Luft war abgestanden. Es mußte Wochen her sein, seit der Raum das letztemal gelüftet worden war. Ich öffnete einige Schränke und Laden: Alle waren leer. Doch als ich mich bückte, um einen weiteren Schrank zu untersuchen, sah ich deutlich einen Fußabdruck. Nach der Größe des Abdrucks zu schließen, mußte ihn eine Frau verursacht haben, höchstens Schuhgröße Nummer sechsunddreißig.
    Ich richtete mich auf. Also war ich nicht der erste, der dieser unbewohnten Wohnung einen Besuch abstattete.
    Vorsichtig ging ich weiter, nur über die Teppiche, auf denen ich kaum sichtbare Fußspuren hinterließ. An der Stirnseite der Diele befand sich eine kunstvoll verzierte Tür. Knapp davor sah ich wieder einen Fußabdruck.
    Ich öffnete die Tür und blieb überrascht stehen. Der Raum war mehr als zehn Meter lang. Die linke Seite wurde von drei großen Fenstern eingenommen, die Wände waren mit hellem Holz getäfelt. Die Decke zierte ein gewaltiges Gemälde, und überall waren Spiegel angebracht, die fast bis zur Decke hochreichten. An den Wänden standen winzige Barocktische mit schweren Kerzenleuchtern. Ich fühlte mich in eine andere Welt versetzt. Zögernd betrat ich den riesigen farbenfrohen Teppich, der fast den ganzen Boden bedeckte. Auf dem Teppich zeichneten sich wieder deutlich Fußspuren ab. Ich folgte ihnen. Sie führen quer durch das Zimmer auf eine Tür zu. Bevor ich die Tür jedoch erreichte, fing die Luft zu flimmern und sausen an, und eine Duftwolke schwebte auf mich zu, die mir fast den Atem raubte.
    In der Mitte des Raumes flimmerte die Luft stärker. Dann sah ich einen Schatten, der sich leicht bewegte. Und unendlich langsam nahm der Schatten Gestalt an. Ich erkannte die

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