067 - Das Maedchen in der Pestgrube
acht Schilling.
Etwa ein Dutzend Leute standen vor der Tafel, und wir gesellten uns zu ihnen. Punkt zehn Uhr tauchte ein mittelgroßer Mann auf. Sein Gesicht war markant, sein schwarzes Haar kurzgeschnitten.
„Zur Katakombenführung!“ sagte er laut, sperrte das eiserne Gitter auf und knipste einen Schalter an. Dann blieb er stehen und wandte sich uns zu. „Ich kassiere nachher“, sagte er. „Sprechen alle Deutsch?“
Die Gruppe bestand hauptsächlich aus deutschen Touristen, doch es waren auch ein englisches und ein amerikanisches Ehepaar dabei.
Der Führer öffnete eine Eisentür, und wir betraten die Katakomben. Neugierig sah ich mich um. Helnwein und ich bildeten das Schlußlicht der Gruppe.
„Wir befinden uns jetzt im alten Teil der Katakomben“, erklärte der Führer. „Früher hat es natürlich hier nicht so ausgesehen. Die Wände waren schwarz und zum Teil eingestürzt, und dazwischen lagen Totenköpfe und Gebeine herum. Doch alle Räume des alten Teiles wurden nach dem 2. Weltkrieg renoviert. Es wurde auch diese Unterkirche neu errichtet, in der wir uns gerade befinden.“
Vor uns lag ein rundes Gewölbe, mit mehr als einem Dutzend Bankreihen und einem einfachen Altar. Der Führer ging vor bis zum Altar, und wir folgten ihm.
„Dieser Altar wird Pelikan-Altar genannt“, sagte er und deutete auf den weißen Sockel. „Er stellt symbolisch die Kreuzigung Christi dar. So wie Christus sein Leben gab, gibt die Pelikanmutter ihr Herz den hungernden Jungen, um sie vor dem Tod zu bewahren.“
Die Touristen schnarrten eifrig durcheinander. Wir bogen nach links in einen Gang ein. Es war angenehm kühl.
Ich hatte erwartet, daß es stickig sein würde, doch die Luft war frisch.
„Und hier, meine Herrschaften“, sagte der Führer. „Befinden wir uns in der Kardinalsgruft. Das sind die zwölf Metallsärge, in denen einige der bedeutendsten österreichischen Bischöfe ruhen.“
Ich sah mir die Särge flüchtig an.
Der Führer bog in einen schmalen, kurzen Gang ein, und wir folgten ihm weiter. Dann ging es nach rechts ab. Ich blieb stehen. Rechts und links befanden sich Nischen, in denen mehrere Kupfer – und Silberurnen standen. Der Führer ging daran vorbei, und wir gelangten in ein kreisförmiges Gewölbe. In der Mitte des Raumes standen zwei große kupferne Barocksärge, die von mehreren ähnlichen Särgen unterschiedlicher Größe umgeben waren.
„Das ist die sogenannte Herzogsgruft“, erklärte der Führer. „Im größeren der beiden Särge ruht ein ganz berühmter Habsburger, Rudolf IV., der Stifter. Er ordnete 1363 an, daß diese Gruft für ihn und seine Nachfolger errichtet werden sollte.“
Der Führer zeigte auf die Urnen in den Nischen um Nebenraum. „Sie werden sich vielleicht fragen, was sich in diesen Urnen befindet.“ Er legte eine Pause ein, und alle sahen ihn interessiert an. „Nach dem Tod wurden die Leiber der Verstorbenen geöffnet, die Eingeweide herausgenommen und in die Kupferurnen getan. Die Herzen legte man indessen in Silberurnen. Die Körper der toten Habsburger ruhen in der Augustinergruft, wo sich auch die Herzen zum Großteil befinden, während die Eingeweide hier in der Herzogsgruft liegen.“ Der Führer schwieg sekundenlang, dann sprach er weiter. „Die Särge, die Sie hier sehen, ließ 1784 Maria Theresia anfertigen, da die alten gotischen Särge in der Zwischenzeit schon zerfallen waren.“
Der Führer ging weiter. Wir erreichten das sogenannte Steinmuseum. An den Wänden standen alte Grabsteine aus Marmor, die wahrscheinlich noch vom alten Stephans-Friedhof stammten. Darunter befanden sich aber auch Skulpturen und Statuen, die nach der Zerstörung des Doms erhalten geblieben waren. Ich bemerkte einige Wasserspeier, die auch teilweise noch am Dom zu sehen waren.
„Wir betreten nun den neuen Teil der Katakomben“, sagte der Führer.
Ich achtete nicht besonders auf die Worte des Führers. Interessiert blieb ich vor einem Karner stehen. Durch eine kleine vergitterte Öffnung konnte ich ins Innere blicken. Hier lagen unzählige Knochen aufgeschichtet und zwischen den Gebeinen Hunderte von Totenschädeln, die mich mit leeren Augenhöhlen anzugrinsen schienen.
„Wie viele Tote liegen hier?“ erkundigte sich ein deutscher Tourist neugierig.
„Etwa fünfzehntausend“, sagte der Führer. „Dieser neue Teil der Katakomben wurde 1745 erbaut. Vielleicht interessiert es Sie, wie es dazu kam. Der Stephansfreithof rund um den Dom herum wurde wegen
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