067 - Das Maedchen in der Pestgrube
schmerzverzerrtem Gesicht. Der Schrein wurde durch eine magische Falle gesichert.
Ich betrachtete die Haare und Fingernägel. Es hätte mich brennend interessiert zu wissen, wem sie gehört hatten. Gern hätte ich den Schrein mitgenommen. Ich überlegte gerade, wie ich ihn an mich bringen konnte, da hörte ich Stimmengemurmel.
„Irgendwo muß der magische Ausgang sein“, hörte ich eine männliche Stimme sagen.
„Dieser Geheimgang ist ein verdammtes Labyrinth“, sagte eine andere Stimme.
Ich zog den Vorhang zu und trat an die linke Wand, aus der die Stimmen kamen.
„Ich glaube, daß ich den Ausgang gefunden habe“, sagte die erste Stimme triumphierend.
Das reichte mir. Eine der Stimmen war mir seltsam bekannt vorgekommen. Ich hatte sie schon früher einmal gehört.
Eilig verließ ich die Wohnung und stieg die Stufen hinunter. Unten blieb ich kurz stehen. Mir war eingefallen, wem die Stimme gehörte. Es war die Stimme Michael Zamis’ gewesen. Cocos Vater. Für mich stand eines fest: Dieser Wohnung würde ich später nochmals einen Besuch abstatten. Aber erst einmal wollte ich mich mit Helnwein eingehend unterhalten, und zwar über das Mädchen, das er Eva nannte.
Ich stieg aus dem Taxi. Helnweins alter VW stand vor dem Haus. Ich läutete, und Helnwein öffnete. „Ich hatte Sie erst später erwartet“, sagte er überrascht.
Ich nickte ihm zu und ging ins Wohnzimmer. Er folgte mir.
„Wo ist das Mädchen?“ fragte ich.
„Sie meinen Eva?“
„Ja, genau die meine ich.“
„Wahrscheinlich ist sie in ihrem Zimmer.“
„Ich werde sie holen“, sagte ich grimmig. „Ich habe ihr einige Fragen zu stellen.“
„Lassen Sie das Mädchen in Ruhe!“ bat Helnwein.
„Tut mir leid, alter Freund“, sagte ich böse. „Ich muß über das Mädchen Bescheid wissen. In der Wohnung der Schwestern Reichnitz hatte ich ein seltsames Erlebnis, bei dem das Mädchen eine Rolle spielte. Eine wesentliche sogar.“
„Erzählen Sie!“ bat Helnwein.
„Zuerst Sie. Und diesmal will ich die Wahrheit wissen. Das Mädchen ist mit Ihnen überhaupt nicht verwandt, stimmt das? Antworten Sie!“
Helnweins Mund verzerrte sich. Er schluckte. „Sie haben recht. Sie ist nicht mit mir verwandt.“ „Reden Sie schon endlich!“ sagte ich heftig. „Lassen Sie sich nicht jeden Satz einzeln aus der Nase ziehen!“
„Setzen Sie sich, Hunter!“
Ich setzte mich. Es sah wieder uralt aus.
„Eigentlich weiß ich nicht, weshalb ich Ihnen nicht von Beginn an die Wahrheit erzählte“, sagte er und verschränkte die Hände ineinander. „Aber irgend etwas hielt mich zurück, und es fällt mir noch immer schwer, zu reden.“
Helnwein stand auf, öffnete einen Schrank, holte einige Zeitungsausschnitte hervor, setzte sich dann wieder und reichte mir die Ausschnitte.
Ich blätterte sie flüchtig durch, ehe ich sie der Reihe nach las. Es ging um den mysteriösen Tod eines Bauarbeiters und das Auftauchen eines Mädchens aus einem halbfertigen U-Bahn-Tunnel. Das Mädchen wurde als blond und hübsch geschildert. Es war mit einem zerrissenen Hemd und einem langen Rock bekleidet gewesen und so plötzlich verschwunden, wie es aufgetaucht war. Der Arbeiter, Fritz Heller, war tot aufgefunden worden. Sein Körper hatte sich eisig angefühlt, so als wäre er gefroren. Und die Obduktion erbrachte ein seltsames Ergebnis: Sein Herz und die gesamten Innereien waren in seinem Körper verbrannt. Sein Tod und vor allem die Todesursache blieben ein Rätsel. Ich legte die Zeitungsausschnitte auf den Tisch und drückte die Zigarette aus.
„Hm“, sagte ich. „Lassen Sie mich kombinieren, Herr Helnwein.“ Ich sah den Alten grinsend an. „Sie lasen die Zeitungsberichte über das seltsame Auftauchen des Mädchens und wurden neugierig. Und irgendwie gelang es Ihnen, das Mädchen zu finden. Dieses Mädchen, das da plötzlich aus dem Tunnel auftauchte, das ist Eva. Habe ich richtig kombiniert?“
Helnwein nickte. „Sie haben es erraten. Es war vor fünf Tagen. Ich kaufe mir die Morgenausgaben der Zeitungen immer schon in der Nacht, und da las ich vom seltsamen Tod des Bauarbeiters und dem Auftauchen des Mädchens. Kurz entschlossen fuhr ich zum Stephansdom. Ich wanderte stundenlang umher. Es war gegen vier Uhr morgens. Ich wollte gerade wieder nach Hause fahren, als das Mädchen auftauchte. Sie stand plötzlich vor mir und sah mich an. Sie sagte kein Wort, sie blickte mir nur in die Augen. Ich faßte sie am Arm und zuckte zusammen, denn sie
Weitere Kostenlose Bücher