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067 - Das Maedchen in der Pestgrube

067 - Das Maedchen in der Pestgrube

Titel: 067 - Das Maedchen in der Pestgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Davenport
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undurchdringlicher Nebel. Gedankenfetzen zuckten auf, alles war verwirrend und unwirklich. Mein Kopf platzte. Ich schrie.
     

     

Vergangenheit.
    Ich wälzte mich unruhig im Bett hin und her. Endlich schlug ich die Augen auf. Grelles Sonnenlicht blendete mich. Ich schloß die Augen wieder und drehte mich auf die Seite. Dann hörte ich das Klopfen gegen die Tür.
    „Aufstehen, junger Herr!“ vernahm ich eine Mädchenstimme.
    Ich setzte mich im Bett auf. Die Umgebung kam mir völlig fremd vor. Das Zimmer war mit Barockmöbeln ausgestattet, und ich lag in einem breiten Bett.
    „Ja“, krächzte ich.
    Mühsam kroch ich aus dem Bett und sah verwundert an mir herunter. Ich trug ein weißes Leinennachthemd. Langsam wankte ich durch das Zimmer, blieb vor dem Fenster stehen und starrte auf die Straße hinunter. Die schräg gegenüberliegende Kirche kam mir bekannt vor. Die Häuser waren höchstens dreistöckig, gelb und weiß, und vor den Fenstern befanden sich kunstvoll geschmiedete Gitter. Auf der Straße herrschte buntes Treiben. Kutschen fuhren vorbei, und ich sah Reiter in farbenprächtigen Uniformen.
    Ich torkelte zum Bett zurück, setzte mich und barg das Gesicht in den Handflächen. Und allmählich kehrte die Erinnerung zurück.
    Mein Name war Ferdinand Dunkel. Ich war zweiundzwanzig Jahre alt und wohnte im Haus meiner Eltern, Kohlmarkt 56. Man schrieb das Jahr 1713. Seit einigen Tagen wütete die Pest wieder in Wien. Einige der Adeligen und reichen Bürgersleute hatten eiligst die Stadt verlassen. Die Verordnungen, die anläßlich der letzten Pestseuche in Kraft getreten waren, hatten neue Bedeutung erlangt. Die Pestordnung, die auf Paul de Sorbeit zurückging, mußte peinlich genau befolgt werden. Sie enthielt genaue Vorschriften über Desinfektion, Anzeigepflicht und Reinlichkeit. Das Standrecht war über die Stadt verhängt worden. Es war bei Strafe verboten, Abfälle einfach auf die Straße zu werfen. Branntwein und Schweinefleisch waren tabu. Die Fleischbänke mußten mit Cronatbeeren, Pomeranzen und Lemoni ausgeräuchert werden. Außerdem wurde angeordnet, Knoblauch und Zwiebeln aufzuhängen und mit Essig und Kalkmilch zu putzen.
    Die Kunst der Ärzte versagte. Sie wußten keine Mittel gegen die Pest. Einige verordneten die absonderlichsten Mittel, zum Beispiel: eine am Kopf aufgespießte, in Wasser aufgeweichte Kröte auf die Pestgeschwulst zu legen. Die meisten Kranken wurden in das Kontumazhaus, das Lazarett in der Spittelau gebracht. Dort herrschten grauenvolle Zustände. Zwei oder drei Personen lagen in einem Bett und steckten sich gegenseitig an. Die Vorschriften waren streng, und auf die Nichtbefolgung stand der Galgen.
    Ich hatte eine durchzechte Nacht hinter mir und einen Brummschädel. Seufzend schlüpfte ich aus dem Nachthemd und kleidete mich an. Mein Schlafzimmer lag im ersten Stock des Hauses meines Vaters. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, als ich den Gang betrat.
    Melanie, unser Stubenmädchen, kam mir entgegen.
    „Guten Morgen, junger Herr“, sagte sie, und ich nickte ihr flüchtig zu.
    Gestern hatte ich mit meinem Vater wieder einmal eine Auseinandersetzung gehabt, und ich war schließlich wutentbrannt aus dem Haus gelaufen. Ich hatte mich in eines der unzähligen Weinhäuser auf der Bastei gesetzt und einige Gläser getrunken. Nach der Sperrstunde war ich in eines der sogenannten Coffe-Häuser in der Singerstraße gegangen, hatte einige Freunde getroffen, eine Partie Billard gespielt und weitergetrunken. Es war das Wiener Diarium gewesen, in dem sich Leute aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten trafen. Neben Wein gab es Kaffee, Tee, Schokolade und Fruchtsaft namens Sorbet. Trotz der Pestseuche war das Lokal gut besucht gewesen. Offiziell sperrten die Coffe-Häuser um zehn Uhr, doch die Sperrstunde wurde oft überzogen. Es war weit nach zwölf Uhr gewesen, als ich mit meinen Freunden das Lokal verlassen hatte.
    An den Häusern befestigte Laternen hatten schwaches Licht verbreitet. Einige Karossen waren an uns vorbeigekommen, vor denen Männern mit brennenden Fackeln herliefen.
    Ich wußte nicht, wie ich ins Bett gekommen war, so berauscht war ich gewesen. „Ihr Vater will Sie sofort sprechen, junger Herr“, sagte Melanie.
    Ich blieb stehen.
    „Wo ist er?“ fragte ich.
    „In der Stube“, sagte sie. Dann beugte sie sich vor, und ihr hübsches Gesicht wurde ernst. „Er hat schlechte Laune.“
    „Danke für die Warnung“, sagte ich.
    Ich stieg die Treppe hinunter, die

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