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067 - Das Maedchen in der Pestgrube

067 - Das Maedchen in der Pestgrube

Titel: 067 - Das Maedchen in der Pestgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Davenport
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Jahren eröffnet worden war, trank Kaffee, aß Kuchen und blätterte dabei in den zwei Wiener Zeitungen: Wiener Blättl und Reichsblättl.
    Die Gespräche im Lokal drehten sich nur um die Pest.
    Ein Leiterwagen wurde von Sträflingen am Kaffeehaus vorbeigezogen. Er war voll mit Pesttoten. Andere Sträflinge waren damit beschäftigt, auf dem Stephansfreithof eine große Grube auszuheben. Das stimmte mich nachdenklich. Wenn schon Pestgruben ausgehoben wurden, dann war die Situation doch sehr ernst.
    Ich dachte an die Auseinandersetzung mit meinem Vater – und an Steffi. Ich hatte sie vor drei Monaten in einem Wirtshaus getroffen und mich Hals über Kopf in sie verliebt. Sie war das schönste Mädchen, das ich je gesehen hatte. Ich war verrückt nach ihr gewesen, doch sie hatte mich nicht erhören wollen. Es hatte ziemlich lange gedauert, bis sie endlich meinem Drängen nachgegeben hatte und meine Geliebte geworden war. Und jetzt sollte ich sie meinem Vater zuliebe aufgeben. Das kam nicht in Frage. Ich dachte nicht daran.
    Um zehn Uhr verließ ich das Kaffeehaus und ging zum Hohen Markt. Neben dem Fischmarkt blieb ich stehen. Ich mußte nicht lange warten.
    Steffi trug einen knöchellangen grünen Rock. Das lange Haar war, unter einer goldbraunen Haube versteckt. Sie lächelte schwach, als sie mich sah. Ich ging neben ihr her. Sie erledigte für ihre Herrschaften die Einkäufe, und dabei hatte ich Gelegenheit, kurz mit ihr zu sprechen.
    „Du siehst blaß aus“, sagte ich. „Fühlst du dich nicht gut?“
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Ich fühle mich ein wenig schwach, das ist alles“, sagte sie.
    „Gib endlich den Posten, bei den Schwestern auf!“ drängte ich. „Heiraten wir!“
    „Das würde dein Vater doch nicht zulassen.“
    „Das ist mir gleichgültig“, erwiderte ich heftig und griff nach ihrer Hand, die eiskalt war.
    Sie schüttelte nur schwach den Kopf.
    Steffi hatte mir von den Schwestern Reichnitz erzählt. Es waren reiche Damen, die aber Steffi etwas unheimlich waren. Sie benahmen sich oft seltsam und empfingen merkwürdige Besuche. Es kursierten auch Gerüchte über die Schwestern, daß es in ihrem Haus nicht mit rechten Dingen zuginge. Man munkelte von seltsamen Festen, und einige behaupteten, daß die Schwestern mit dem Teufel im Bunde stünden. Das waren natürlich nur dumme Gerüchte, von neidischen Leuten verbreitet.
    Ich machte mir Sorgen um Steffi. Seit einigen Tagen wurde sie immer blasser, hatte Gedächtnislücken und verwelkte sichtlich. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen.
    Ein alter Mann kam auf uns zu. Er konnte sich nur mit Mühe aufrecht halten. Sein Gesicht war aufgedunsen, die Augen glänzten fiebrig.
    „Er hat die Pest“, schrie eine Stimme, und alle wichen angstvoll zurück.
    Der Mann blieb stehen und griff sich an die Brust. Sein Gesicht war verfärbt. Er torkelte zwei Schritte weiter, stützte sich an einer Hausmauer und atmete schwer. Dann brach er zusammen und fiel auf den Bauch.
    Ich faßte nach Steffis Arm. Wir gingen rasch weiter.
    „Ich hole dich mittags ab“, sagte ich. „Wir verlassen Wien. Ich will nicht, daß du auch die Pest bekommst.“
    „Das geht doch nicht, Ferdinand“, sagte sie.
    „Keine Widerrede!“ sagte ich. „Ich werde mit den Schwestern sprechen.“
    Ich begleitete sie zum Haus der Schwestern und sprach die ganze Zeit eindringlich auf sie ein. Schließlich versprach sie, mit mir Wien zu verlassen.
    Dann verblaßte alles vor meinen Augen. Dunkelheit war wieder um mich.
     

     

Gegenwart.
    Ich schlug die Augen auf und blickte in Olivaros Gesicht.
    „Nun?“ fragte er. „Konnten Sie sich erinnern, Dorian?“
    „Ja“, sagte ich und erzählte ihm alles.
    „Es gibt keinen Zweifel, daß es dasselbe Mädchen war, das Sie bei Helnwein sahen?“
    „Keinen Zweifel“, sagte ich. „Können Sie mir eine Erklärung geben?“
    „Noch nicht“, sagte Olivaro. „Sie spielten in der Vergangenheit eine kleine Rolle in einem unheimlichen Spiel. Aber es kommt Ihnen jetzt eine wesentlich größere Rolle zu.“
    „Können Sie nicht endlich einmal vernünftig reden, Olivaro?“ fragte ich ungehalten.
    Olivaro lächelte seltsam und schüttelte den Kopf.
    „Wir werden jetzt dem Haus der Schwestern Reichnitz einen Besuch abstatten. Vielleicht kehrt da Ihre Erinnerung wieder zurück.“
    „Sie tappen wohl selbst im dunkeln, was?“
    „Nur zu einem kleinen Teil.“ Olivaro lächelte.
    „Kehren wir in die Gegenwart zurück. Helnwein befindet sich in der

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