067 - Das Maedchen in der Pestgrube
Gewalt der Zamis’. Ich habe Angst, daß ihm etwas geschehen ist. Vielleicht ist er schon tot.“
„Machen Sie sich keine Sorgen um Helnwein“, sagte Olivaro. „Es geht ihm gut.“
„Wie können Sie das wissen?“ fragte ich.
„Ich sage Ihnen, daß es Helnwein gutgeht“, erklärte Olivaro ziemlich scharf.
„Und was ist mit der Familie Zamis?“
„Das lassen Sie nur meine Sorge sein. Die Familie Zamis wird eine hübsche Überraschung erleben.“ Ich blickte Olivaro an. „Können Sie mir nicht endlich reinen Wein einschenken?“
Ich fühlte mich scheußlich, hatte Kopfschmerzen und Schweißausbrüche. Mißmutig steckte ich mir eine Zigarette an.
„Wir fahren jetzt zur Wohnung der Schwestern Reichnitz“, sagte Olivaro. „Und dann besuchen wir die Familie Zamis.“
Olivaro stand auf, und ich folgte ihm. Wir verließen das Hotel, stiegen in ein Taxi und ließen uns zum Stephansplatz bringen. In der Wollzeile stiegen wir aus. Olivaro zahlte.
„Müssen wir tatsächlich in die Wohnung der Schwestern?“ fragte ich.
„Ja“, sagte Olivaro.
Er ging ziemlich rasch. Ich hatte Mühe, ihm zu folgen. Unwillkürlich verlangsamte ich meine Schritte, als wir den Stephansplatz erreichten. Ich fühlte mich müde, völlig zerschlagen, und Schauer überliefen meinen Körper.
Olivaro bemerkte mein Zögern. Er lächelte mir aufmunternd zu.
„Kommen Sie!“ sagte er.
Ich hatte plötzlich Angst, das Haus zu betreten. Irgend etwas hielt mich zurück.
„Ich will nicht hinein“, sagte ich.
„Sie gehen hinein, und wenn ich Sie hineintragen muß“, sagte Olivaro.
Je näher wir dem Haus kamen, um so langsamer wurde mein Schritt.
„Versuchen Sie sich zu erinnern, Dorian!“ drängte Olivaro. „Bleiben Sie stehen und schließen Sie die Augen!“
Ich blieb stehen und schloß die Augen.
„Sie sehen das Haus und den Dom, den Friedhof und die Leute vor zweihundertsechzig Jahren. Erinnern Sie sich daran!“
Ein Zittern ging durch meinen Körper. Olivaro packte meine rechte Hand.
Endlich überwand ich meinen inneren Widerstand. Olivaro führte mich wie einen Blinden.
„Erinnern Sie sich, Dorian, erinnern Sie sich!“
Ich knickte ein, und er riß mich hoch. Schweiß stand auf meiner Stirn.
1713. Ferdinand Dunkel.
Vor meinen Augen flimmerte es.
Vergangenheit.
Frauen in bodenlangen Kleidern gingen an mir vorbei. Eine Kutsche kam auf mich zu, und ich mußte ausweichen.
Ich hatte Steffi versprochen, sie abzuholen. Und ich mußte auch mit den Schwestern sprechen. Ich hatte sie ein paarmal gesehen. Sie waren recht hübsch, sahen sich ziemlich ähnlich und waren an die Dreißig.
Ich zog den Rock zurecht und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Es war ein unerträglich heißer Tag, und mein Hemd war unter den Achseln verschwitzt. Die Perücke juckte.
Unschlüssig blieb ich vor dem Haus stehen. Nach mehr als einer Minute erst öffnete ich die Tür.
Im Hausflur war es angenehm kühl. Wie in allen Häusern roch es faulig. Zögernd betrat ich den kunstvoll verzierten Treppenaufgang und stieg die Stufen hoch. Ich hörte eine singende Frauenstimme und begann zu laufen. Keuchend blieb ich im zweiten Stock stehen und klopfte. Mein Herz schlug schneller. Ich hatte Angst, aber ich wußte nicht, wovor. Wieder klopfte ich.
Schritte näherten sich. Ich wollte umkehren, doch etwas hielt mich zurück. Wie angewurzelt stand ich da und spürte, wie meine Hände feucht wurden.
Die Tür wurde geöffnet.
Ich hatte Steffi erwartet und war überrascht, Maria Reichnitz zu sehen. Das kastanienbraune Haar fiel über ihre nackten Schultern. Ihre dunklen Augen blickten mich forschend an. Sie trug ein hellgrünes Kleid, aus dessen Mieder ihre großen Brüste wie zwei Bälle hervorsprangen.
„Küß die Hand – gnädige Frau“, stammelte ich unsicher.
„Guten Tag“, sagte sie knapp und hob die rechte Braue. „Was führt Sie zu mir, Herr Dunkel?“
„Es geht um Steffi“, stammelte ich.
„Um Steffi?“ fragte sie verwundert. „Treten Sie ein!“
Ich betrat die Diele. Sie schloß die Tür.
„Was ist mit Steffi?“ fragte sie.
Bevor ich noch antworten konnte, tauchte Elisabeth Reichnitz auf. Sie war etwas jünger als ihre Schwester, ihr Haar um eine Spur heller. Ihr Kleid war ebenfalls tief ausgeschnitten und der Farbton ein dunkleres Grün.
„Ah, Herr Dunkel!“ sagte Elisabeth und der spöttische Unterton war nicht zu überhören. „Der Galan unserer Steffi.“
„Er will mit uns über Steffi
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