067 - Das Maedchen in der Pestgrube
laut knarrte. Die Tür zur Stube stand offen. Ich hatte keine Gelegenheit, mich davonzuschleichen, was eigentlich meine Absicht gewesen war. Also gab ich mir innerlich einen Ruck, setzte eine stoische Miene auf und trat ein.
Mein Vater saß hinter dem klobigen Tisch, die Hände auf der Tischplatte, und starrte mich finster an.
„Guten Morgen“, sagte ich.
„Setz dich!“ sagte er böse.
Er war ein breitschultriger, mittelgroßer Mann. Sechsundfünfzig Jahre alt. Sein Gesicht sah wie gegerbtes Leder aus, die Brauen waren buschig, und das Haar war grau.
Ich setzte mich, mein Kopf wollte zerspringen.
„Ich muß mit dir sprechen“, sagte er.
Ich nickte.
„Du kannst dir denken, worüber ich sprechen will?“ Er reckte das Kinn angriffslustig vor.
Ich nickte wieder.
„Du bist ein arbeitsscheues Individuum“, sagte er, und seine Stimme wurde lauter. Wütend schlug er mit der Faust auf den Tisch. „Du hurst nächtelang herum und drückst dich vor jeder Arbeit. Jeden Tag kommst du mit einem Rausch nach Hause.“
Seine Stimme mußte im ganzen Haus zu hören sein.
Ich sagte nichts. Er hatte recht. Jedes Wort stimmte.
„Und du suchst Raufhändel, wo du sie nur finden kannst“, fuhr er fort. „Nun, das würde ich noch alles ertragen, aber deine Liebschaft mit dem Dienstmädchen der Schwestern Reichnitz – das schlägt dem Faß den Boden aus.“
Wieder knallte seine Faust auf die Tischplatte, und mir war, als würde sie meinen Schädel treffen. „Ab sofort siehst du dieses Mädchen nicht mehr!“
„Aber ich …“
„Keine Widerrede!“ brüllte er und richtete sich drohend auf.
„Ich …“
„Es ist eine Schande“, tobte er und lief im Zimmer auf und ab. „Du bist mein einziger Sohn, und ich bin der beste Goldschmied der Stadt. Ein angesehener Bürger. Und du treibst dich mit zwielichtigen Gestalten herum und hast eine Liebschaft mit einem Stubenmädchen.“
Erschöpft setzte er sich nieder und stierte mich böse an.
„Außerdem verlassen wir nachmittags die Stadt“, fuhr er fort. „Die Pest greift rasend schnell um sich. Und du kommst mit.“
„Ich denke nicht daran“, sagte ich und sprang auf. „Ich lasse mich nicht länger wie ein kleines Kind bevormunden. Ich bin alt genug, um …“
„Du bist noch nicht trocken hinter den Ohren!“ brüllte mein Vater.
Ich drehte mich um und schritt auf die Tür zu.
„Du hörst mir gefälligst zu!“ brüllte er hinter mir her.
Ich wandte den Kopf herum.
„Du heiratest Hermi Spiegel“, sagte er. „Das ist schon lange beschlossen und …“
„Nie im Leben heirate ich diese Vogelscheuche“, keuchte ich wütend.
„Du wirst tun, was ich dir sage“, tobte er weiter. „Und wenn ich dich nochmals mit dieser Steffi sehe – diesem Flittchen, dann …“
„Nenn sie nicht Flittchen!“ schrie ich zurück und spürte, wie meine Wangen rot wurden. „Sie ist ein anständiges Mädchen.“
„Daß ich nicht lache!“ knurrte er. „Sie hat mit mehr als einem Dutzend Burschen ein Verhältnis gehabt. Das pfeifen ja die Spatzen von den Dächern.“
„Das ist eine infame Verleumdung!“ schrie ich.
„Nimm endlich Vernunft an, Sohn!“ bat er plötzlich sanft.
„Ich will Steffi heiraten“, sagte ich. „Ich liebe sie.“
Er schüttelte den Kopf. „Du bist übergeschnappt. Völlig wahnsinnig.“
Ich ging hinaus, schlug wütend die Tür hinter mir zu, stürmte die Treppe hoch, schlüpfte in meinen Rock und legte den Degen um. Dann setzte ich mir die Perücke auf und den Hut und lief die Stufen hinunter.
Mein Vater versperrte mir den Weg.
„Wohin willst du?“ fragte er.
Ich preßte die Lippen zusammen.
„Du gehst zu dieser Schlampe, nicht wahr?“
Ich gab ihm keine Antwort.
„Verabschiede dich von ihr!“ rief er. „Am Nachmittag fahren wir los. Und wenn du nicht bis Punkt zwei Uhr hier bist, dann ist dir mein Haus für immer versperrt. Ich hoffe, wir haben uns verstanden.“ Ich nickte ihm zu.
„Das war ein deutliches Wort“, sagte ich grimmig.
„Überlege es dir gut, Sohn!“
Er gab mir den Weg frei, und ich schlich gesenkten Hauptes aus dem Haus.
Es herrschte das übliche Treiben auf der Straße. Frauen gingen einkaufen, Kinder liefen herum. Noch merkte man nicht viel von der Pest. Es waren erst wenige Leute gestorben.
Mißmutig bog ich in den Grünen Markt ein und wanderte weiter, bis ich den Stephansplatz erreichte. Ich betrat das Kaffeehaus zur Blauen Flasche, das von Georg Franz Kolschitzky vor einigen
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