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067 - Das Maedchen in der Pestgrube

067 - Das Maedchen in der Pestgrube

Titel: 067 - Das Maedchen in der Pestgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Davenport
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heute nacht gestorben. An der Pest.“
    Ich schloß die Augen, und mein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt. Tränen rannen über meine Wangen.
    „Ich will sie noch einmal sehen“, sagte ich.
    „Die Siechknechte holen sie eben ab“, sagte mein Vater.
    Ich richtete mich auf. Meine Schulter, der Arm und der Schenkel waren verbunden.
    „Ich muß sie sehen!“ keuchte ich.
    Mein Vater half mir beim Ankleiden. Dann stieg ich die Stufen hinunter und trat vor das Haus.
    Es war Tag, der Himmel dunkelblau. Das Knarren von Rädern war zu hören. Es stank entsetzlich. Eben wurde Steffi auf einen der Leiterwagen geworfen. Ihre. Augen schienen mich anzustarren. Der Wagen setzte sich in Bewegung. Er fuhr den Graben entlang zum Stephansfreithof. Ich folgte dem Wagen.
    „Steffi!“ schrie ich.
    Sie richtete sich auf.
    „Seht ihr denn nicht, daß sie noch lebt?“ schrie ich den Siechknechten zu.
    „Er phantasiert“, sagte der eine.
    Die gewaltige Pestgrube lag vor uns.
    Sie warfen Steffi mit langen Stangen in die Grube. Mir kam es so vor, als würde mir Steffi die Hand entgegenstrecken. Die Hand war klein, sie wollte nach mir greifen.
    „Seht ihr denn nicht, daß sie noch lebt?“ brüllte ich wieder.
    Starke Hände rissen mich zurück. Ich sah meinen Vater.
    „Sie ist nicht tot! Seht ihr nicht, wie sie aufsteht, wie sie mir zuwinkt? Seht ihr es nicht?“
    „Er hat Fieber“, sagte mein Vater.
    Er wollte mich zurückziehen, doch ich wehrte mich. Meine Schulterwunde brach auf. Ich spürte, wie mir das Blut über den Rücken lief.
    „Steffi!“ rief ich.
    Sie richtete sich wieder auf. Das lange, blonde Haar floß über ihre Schultern. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
    Immer mehr Leichen fielen in die Grube, dann sah ich nichts mehr von Steffi.
    „Sie ist nicht tot!“ keuchte ich. Tränen rannen über meine Wangen, und ich schluchzte.
    „Du fieberst, Sohn“, sagte mein Vater.
     

     

Gegenwart.
    Als ich die Augen öffnete, sah ich in Olivaros Gesicht.
    „Ist Ihre Erinnerung zurückgekehrt?“ fragte er.
    Ich nickte und blickte mich um. Wir standen im Salon der Wohnung der Schwestern Reichnitz.
    „Ja“, sagte ich und ließ mich auf einen Stuhl fallen. So müde hatte ich mich noch nie zuvor in meinem Leben gefühlt.
    „Und sind Ihnen jetzt einige Zusammenhänge klargeworden?“
    „Zum Teil“, sagte ich leise. „Ich war Zeuge eines unheimlichen Vorgangs.“
    „Erzählen Sie, Dorian!“
    „Später“, sagte ich. „Ich brauche einige Minuten, bis ich mich wieder gefangen habe.“
    „Das kann ich mir denken“, sagte Olivaro mitfühlend.
    Ich schloß die Augen und lehnte mich zurück. Ich mußte Fieber haben. Außerdem hatte ich unglaublich starke Schmerzen in der Leistengegend. Immer wieder mußte ich mir den Schweiß von der Stirn wischen. Dann fing ich endlich stockend zu erzählen an. Olivaro war ein interessierter Zuhörer. Nachdem ich geendet hatte, schwiegen wir mehrere Minuten.
    „Ich glaube, daß Ihnen noch nicht alle Zusammenhänge ganz klar sind“, sagte Olivaro.
    „Da haben Sie recht“, sagte ich müde.
    „Der Graf, der – nun, sein Name tut nichts zur Sache. Der Graf, der Asmodi war, wußte, daß ihm ein Rebell der Schwarzen Familie nach dem Leben trachtete. Er verbündete sich mit den Reichnitz-Schwestern und beschloß, in den Körper des Dienstmädchens Steffi überzuwechseln. Das beobachteten Sie, aber nicht nur Sie, auch der Rebell wußte davon. Er beging jedoch einen großen Fehler. Er raubte Steffi nur das Gedächtnis, infizierte sie mit der Pest und dachte, daß damit die Sache gelaufen sei. Aber es starb nur Steffis Körper. In ihr lebte noch immer. Asmodis Geist. Sie wurde in die Pestgrube geworfen und war organisch tot, aber Asmodis Geist lebte weiter. Der Körper des Mädchens verweste nicht.“
    Ich nickte. „Das verstehe ich.“
    „Gut“, sagte Olivaro. „Beim U-Bahn-Bau wurde die Leiche des Mädchens freigelegt, und Asmodis Geist konnte seine Kräfte zum Teil wiedergewinnen. Er tötete den Bauarbeiter und erwachte so zu neuem Leben. Doch er war zu schwach. Sein Gedächtnis war gestört. Er konnte seine Kräfte nicht richtig einsetzen. Helnwein fand das Mädchen und nahm sie in sein Haus auf. Das blieb der Familie Zamis nicht verborgen. Sie stellten Kontakt mit dem Mädchen her, und langsam gewann Asmodi I., wie wir ihn jetzt nennen wollen, seine Kräfte zurück. Die Zamis’ sahen ihre große Chance gekommen, den herrschenden Fürsten der Finsternis, Asmodi II., zu

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