067 - Der Redner
London an, der sich in einem der besten Hotels als Oberst Pershin einschrieb. Er besaß einen britischen Reisepaß und war offenbar ein nervöser, leicht reizbarer Herr, der keine besondere Beschäftigung hatte. Er wohnte im Wheetam-Hotel, das einerseits sehr abgelegen und ruhig, andererseits sehr elegant war. Mit besonderem Eifer las er die Zeitungen.
Ein paar Tage nach der Ankunft Pershins erhielt der Redner einen parfümierten Brief, der von einer Dame geschrieben sein mußte. Die Unterschrift lautete: »Eine, die es weiß.«
Wenn Sie wissen wollen, wo sich der Rest der gestohlenen Smaragde des Marquis Perello befindet, kann ich es Ihnen sagen. Da ich weiß, daß Sie als Polizeibeamter ein solches Versprechen nicht geben können, darf ich Sie auch nicht darum bitten, mir etwas darüber zu schreiben. Ich komme am Sonnabend um acht Uhr abends nach Scotland Yard. Werden Sie dann in Ihrem Büro sein?
Der Redner las diese Mitteilung mehrmals durch. Wenn Frauen die Hand im Spiel hatten, erschien ihm nichts unmöglich. Trotzdem hatte er den Eindruck, daß der Brief von Mr. Witlon oder in dessen Auftrag geschrieben worden war.
Lange Zeit stand er an seinem Fenster, sah auf das Themseufer und den Fluß hinunter und versuchte, sich in die Lage seines Feindes zu versetzen.
Zu jener Zeit regierte in Scotland Yard ein sehr unbeliebter Abteilungsleiter, der den Redner nicht leiden konnte. Es war Major Dawlton, der seine frühere Dienstzeit bei der indischen Polizei zugebracht hatte. Er war ein unverbesserlicher Theoretiker und besaß außerdem die schlechte Eigenschaft, die ihm unterstellten Beamten bei der Ausübung ihrer Pflichten zu hindern.
Eines Tages ließ er den Redner zu sich ins Büro kommen.
»Hören Sie einmal, Mr. Rater«, begann er etwas von oben herab, »das kann aber nicht so weitergehen. Sie pakken die Sache wieder ganz verkehrt an. Es ist doch unerhört, daß diese wertvollen Smaragde direkt unter der Nase der Polizei gestohlen worden sind - um so mehr bedauerlich, als Sie vorher gewarnt waren und den besonderen Auftrag hatten, den Eigentümer zu schützen. Haben Sie die Morgenzeitungen schon gelesen?«
»Ich kann keine Zeitungen lesen«, erwiderte der Chefinspektor müde und machte eine lange Pause, so daß sein Vorgesetzter vor Wut beinahe einen Schlaganfall bekam. »Ich meine, wenn ich etwas anderes zu tun habe.«
»Es ist ein Skandal, Mr. Rater! Wirklich, ich schäme mich schon vor meinen Freunden im Klub. Die erkundigen sich bereits, warum wir denn keine Privatdetektive einstellen. Und ich muß unter diesen Umständen beinahe glauben, daß sie recht haben.«
»Um Len Witlon zu fangen, brauchen Sie keine Privatdetektive. Dazu brauchen Sie Gedankenleser.«
»Was für ein Blödsinn!« entgegnete der Major heftig.
An diesem friedlichen Sonnabendnachmittag war es in Scotland Yard so heiß, daß die Doppelfenster offenstanden. Die verlassenen Werften und Lagerhäuser, die das südliche Ufer der Themse begrenzen, lagen im prallen Sonnenschein.
Die Straßenbahnen waren mehr oder weniger leer, und am Ufer gingen Männer mit ihren Frauen und Kindern spazieren.
Chefinspektor Rater nahm mit einem Seufzer den Klemmer ab, faltete den Brief, den er noch einmal gelesen hatte, und steckte ihn wieder in den Umschlag. Nachdenklich sah er durch das offene Fenster. Ein Schlepper zog eine Reihe von Kähnen, die mit Bauholz hoch beladen waren, langsam den Strom hinauf. Am Ufer lehnten ein paar Leute am Geländer.
Der Redner wandte sich um, als sich die Tür öffnete und Major Dawlton hereinkam. Ohne ein Wort zu sagen, reichte er seinem Vorgesetzten das Schreiben. Der Major klemmte das Monokel ins Auge, las und lächelte dann höhnisch.
»Da haben wir es wieder. Wenn heutzutage in Scotland Yard überhaupt noch etwas herauskommt, dann hat man es Zwischenträgern und Spitzeln zu verdanken. Ich möchte die Frau sehen.«
»Wenn sie kommt«, erwiderte der Redner gelassen.
»Sie glauben, daß es sich um einen dummen Scherz handelt? Der Ansicht bin ich durchaus nicht. Wahrscheinlich ist es eine eifersüchtige Verbündete, die schlecht behandelt worden ist. Solche Briefe sind täglich nach Scotland Yard gekommen, solange ich hier bin.«
»Ganz recht, sie sind gekommen, solange ich hier bin - also seit siebzehn Jahren.«
Der Major war wütend über diese anzügliche Bemerkung, sagte aber nichts darauf.
»Sie wird nicht kommen, aber er«, meinte der Redner nach einer kurzen Pause.
»Sie meinen Len Witlon? Unsinn! Wir
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