0674 - Der Wald des Teufels
Menschliche Stimmen hatten so etwas beruhigend Monotones. Cyarxon schloß die Augen und dachte darüber nach, ob er sich eine der verlorenen Seelen als Rede-Sklaven in sein Reich holen sollte. Natürlich mußte er jemanden mit einer besonders angenehmen Stimme finden, wie diesen Bender vielleicht.
Plötzlich zuckte Cyarxon zusammen und riß die Augen auf.
»Was hast du gerade gesagt?« zischte er.
Bender duckte sich unter dem plötzlichen Ausbruch. »Ich sagte nur, daß die Entführungen nicht aufhören werden, nur weil dieser Mann verhaftet worden ist. Der Fluch ist zurückgekehrt, und ich brauche Hilfe, um ihn zu brechen. Kann ich darauf zählen, Herr?«
Cyarxon verharrte nachdenklich in der Luft.
Zwei seiner Klienten waren anscheinend in das gleiche Problem verstrickt, ohne daß sie es ahnten.
In seinem Gehirn begann ein Plan Gestalt anzunehmen.
»Kennst du einen Mann namens Ahrens?« fragte er.
Bender hob überrascht die Augenbrauen. »Der Polizist? Ich habe von ihm gehört, mehr nicht.«
»Du solltest ihn kennenlernen«, entgegnete der Dämon hämisch lächelnd. »Ihr habt vieles gemeinsam.«
Innerlich überschlugen sich seine Gedanken. Was konnte er nicht alles mit diesem Team aus Boshaftigkeit und Machtgier erreichen. Die Möglichkeiten waren schier unendlich. Wen interessierte da schon eine alte Legende um einen schwarzen Mann…?
***
Nicole stand auf der kleinen Lichtung und hörte, wie Zamorra nach einer Mitfahrgelegenheit fragte.
Die Waldarbeiter können mich auch nicht sehen, dachte sie fröstelnd. Ich kann nichts anfassen, das Amulett nicht ›rufen‹, aber durch Dinge hindurchgehen, als seien sie Luft. Und ich schwebe ein paar Zentimeter über dem Boden. Wie ein Geist…
Sie erschauerte unwillkürlich.
Wie ein Geist!
Konnte es sein, daß sie tot war?
Aber was war dann mit ihrem Körper geschehen?
Zamorra hatte eine Zeitschau mit dem Amulett durchgeführt, während sie ihm dabei über die Schulter gesehen hatte. Der Mini-›Bildschirm‹, der in der Mitte von Merlins Stern entstanden war, hatte ihr den Angriff der Bäume und ihre eigene Aktion mit dem Dhyarra-Kristall gezeigt.
Ünd dann war sie plötzlich aus dem Bild verschwunden.
Nicole verdrängte den Gedanken. Sollte sie wirklich gestorben sein, würde ihr das schon irgendwann auffallen.
Vor allem müßte dann ja irgendwo in der Nähe ihre Leiche liegen… oder…?
Wo zur Hölle befand sich ihr Körper?
Sie konnte ihn nirgendwo sehen!
Sie war Zamorra bis zu den Arbeitern gefolgt und hatte auf dem Weg alles versucht, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie hatte geschrien, das Amulett zu sich gerufen, Telepathie angewandt und ihren Gefährten sogar einfach durch sie hindurchgehen lassen, aber nichts hatte funktioniert.
Es war ungeheuer frustrierend.
Und jetzt mußte sie beobachten, wie Zamorra in den Lastwagen der Arbeiter stieg, um sich von ihnen zur Kinobaustelle fahren zu lassen.
Nicole hörte, wie der Motor ansprang, und lief los. Sie wollte in der Nähe ihres Gefährten bleiben, selbst wenn der nicht wußte, daß sie da war. Auf der einen Seite hoffte sie, sich doch noch irgendwie bemerkbar machen zu können, auf der anderen Seite, soviel gestand Nicole sich ein, hatte sie einfach Angst, in dieser seltsamen Existenz allein zu sein.
Mit einem beherzten Sprung warf sie sich auf die Ladefläche des Lasters, fiel durch sie hindurch und landete zwischen den Hinterreifen knapp über dem Waldboden.
Na toll, dachte sie, als sie durch die dichten Dieselschwaden dem davonfahrenden Laster nachsah. Wie soll ich den jemals einholen?
Sie stand langsam auf und rief sich die Karte der Gegend ins Gedächtnis. Die Straße machte einen großen Bogen und stieß erst nach einigen Kilometern auf den Behelfsweg, der zur Baustelle führte. Der Weg durch den Wald war wesentlich kürzer, wenn man die eng stehenden Bäume ignorierte.
Und das konnte sie.
Nicole atmete tief durch und rannte los, genau auf das dichte Unterholz und eine alte Eiche zu, die irgendwann einmal vom Blitz getroffen worden war. Sie schloß die Augen, als sie sich dem Hindernis näherte - und merkte noch nicht einmal, als sie hindurchglitt.
Es dauerte ein paar Minuten, bis sie den Jahrtausende alten Instinkt überwunden hatte, der sie vor der Kollision mit einem festen Objekt zurückschrecken ließ. Danach, das fiel ihr fast schuldbewußt auf, machte der Lauf sogar Spaß.
Nicole war so mit dieser neuen Erfahrung beschäftigt, daß ihr die Präsenz, die immer dicht
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