0674 - Der Wald des Teufels
sichtlich.
»Nein«, sagte sie dann langsam. »Das geht leider nicht so schnell. Ich muß es erst suchen.«
»Ich habe Zeit.«
Zamorra spürte die plötzliche Spannung, die über dem Zimmer lag. Zwischen den beiden spielte sich etwas ab, das er nicht verstand. Es ging jedenfalls um wesentlich mehr, als es den Anschein hatte.
»Ich kann dir das Buch heute nicht leihen, Harry. Der Professor und ich haben wichtige Dinge zu besprechen. Bitte komm ein anderes Mal wieder.«
Der Bürgermeister seufzte theatralisch. »Du möchtest doch nicht, daß ich wütend werde, oder? Gib mir einfach das Buch und dann kannst du dich wieder deinem Besucher widmen. In Ordnung?«
»Okay, das war's«, sagte Zamorra entschieden und stand auf. »Sie sind hier offensichtlich unerwünscht, Bender. Also gehen Sie bitte.«
Bender fuhr herum. In seinen Augen leuchtete es. »Was fällt Ihnen ein? Gehen Sie mir nicht auf die Nerven!« zischte er wütend.
Der Dämonenjäger setzte zu einer Erwiderung an, aber Ludmilla faßte ihn hastig am Arm. »Bitte mischen Sie sich nicht ein. Sie verstehen nicht…«
»Er kann Sie zu nichts zwingen, Ludmilla. Nicht, solange ich hier bin.«
Der Bürgermeister lächelte. Auf seinem Gesicht erschien wieder die maskenhafte Freundlichkeit. »Und ob ich das kann.«
Er sah Zamorras irritierten Blick. »Oh, hat meine gute Freundin Ludmilla da vielleicht etwas verschwiegen?«
»Harry, bitte nicht«, sagte die Russin.
Der Bürgermeister ignorierte sie und fuhr fort. »Hat sie etwa nicht erwähnt, daß sie seit dem Zerfall der DDR keine Aufenthaltsgenehmigung mehr hat? Sie lebt hier illegal. Nur ich kenne ihr kleines Geheimnis.«
Er sah Ludmilla kalt an. »Noch… Und jetzt gib mir das Buch!«
Die Russin hob den Kopf.
»Harry«, sagte sie ruhig, »ich habe dir das Buch schon einmal geliehen und viel Unheil angerichtet. Dieses Fehler mache ich kein zweites Mal. Die Antwort ist nein.«
Bender sah sie sprachlos an.
Zamorra konzentrierte sich auf den Dhyarra, für den Fall, daß Bender gewalttätig wurde.
Im gleichen Moment glitt Nicole durch die Wand des Wohnzimmers.
»Dreh dich um!« schrie sie.
***
Ahrens stolperte fluchend durch das Unkraut rund um Ludmillas Haus. Die Russin hatte entweder keine Zeit oder keine Lust, sich um den Garten zu kümmern, der langsam zu einem Urwald wurde. Schling- und Kletterpflanzen krochen am Haus nach oben und machten den Boden zu einer Stolperfalle.
Als der Polizist Zamorras Wagen vor der Tür stehen sah, hatte er den Vorschlag gemacht, sich zur Sicherheit zu trennen. Bender sollte versuchen, das Buch auf friedlichem Weg von Ludmilla zu bekommen, während Ahrens als Verstärkung von der anderen Seite in das Haus eindrang. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, daß sämtliche Fenster mit schweren Vorhängen bedeckt waren.
»Aha«, sagte der Polizist triumphierend, als er an der Rückseite des Hauses angelangt war und auf das als einziges nicht verhängte Fenster der kleinen Küche blickte. »So gefällt mir das.«
Er zog das Einbruchswerkzeug, das er vor einiger Zeit einem Verdächtigen abgenommen hatte, aus der Anzugtasche und machte sich an die Arbeit. Nur wenige Sekunden später sprang der Riegel des Fensters zurück.
Ahrens zog sich an der vorstehenden Wand hoch, stieß das Fenster auf und sprang mit einem eleganten Satz in die Küche. Rasch sah er sich um. Ein alter Herd, ein Kühlschrank und einige Küchenschränke, das schien das einzige Mobiliar zu sein. Es gab noch nicht einmal eine Mikrowelle.
Der Polizist hörte Benders Stimme durch die geschlossene Tür. Er schob sie vorsichtig einen Spalt weit auf und blickte ins Wohnzimmer. Zamorra und die Russin standen mit dem Rücken zu ihm. Bender stand vor den beiden und diskutierte mit ihnen. Er mußte Ahrens sehen, gab das Wissen um seine Anwesenheit aber mit keiner Geste preis.
Guter Schauspieler, dachte der Polizist anerkennend und zog seine Waffe. Lautlos zwängte er sich durch den Spalt.
Er hob die Waffe…
***
Nicole sah Ahrens, der hinter Zamorras Rücken die Pistole gehoben hatte und langsam nach vorne schlich.
»Dreh dich um!« schrie sie erneut. Sie glaubte wahnsinnig zu werden. Ihr Gefährte befand sich in höchster Gefahr, und sie konnte nichts tun. Hilflos schrie sie ihn weiter an, hoffte, er würde sie irgendwie allein durch ihren Willen wahrnehmen.
Ahrens kam immer näher, Nicole schrie immer lauter. Wie ein Derwisch glitt sie durch die Personen im Raum hindurch, griff in die Waffe des
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