0675 - Der falsche Buddha
sehr wohl, trotz der schlimmen Stunden, die hinter mir lagen. Estat gut zu wissen, daß sich der Körper so rasch erholte.
Allerdings kam mir auch der Vergleich mit einem goldenen Käfig in den Sinn. Da befand ich mich im fernen Dschungel, konnte mich über nichts beklagen, aber trotzdem wollte ich raus. Ich mußte etwas tun, ich mußte wissen, was mit Mandra Korab und Suko geschehen war. Die Stadt Gaya war für mich ungemein wichtig. Und wenn ich mich zu Fuß durchschlagen mußte, ich wollte es versuchen.
Vielleicht half mir Narina auch. Bisher hatte sie schon wahre Wunderdinge fertiggebracht.
Sie kam wieder zurück. Auf beiden Händen trug sie das geflochtene Tablett. Zwei Schalen hatten darauf Platz gefunden. Aus beiden dampfte es. Suppe und Reis.
Zuerst aß ich die Suppe. Füttern ließ ich mich nicht. Sie war kräftig und gut gewürzt, aber ich fragte sicherheitshalber nicht nach, woraus sie hergestellt worden war. Den Löffel hatten sie aus Holz geschnitzt.
Narina freute sich, daß es mir schmeckte. Sie sagte zwar nichts, ich sah es nur ihrem Gesicht an, wie sehr sie sich darüber freute. Auch der Reis mundete mir. Er war scharf und hatte einen süßlichen Nachgeschmack.
Ich leerte den Teller bis auf das letzte Korn. »Soll ich dir noch etwas holen?« fragte sie, als ich ihr den Teller reichte.
»Nein, um Himmels willen. Ich… ich möchte aus der Wanne, wenn du verstehst.«
»Natürlich.« Sie holte das Badetuch, das über einer Stange gehangen hatte. Auch schaute sie nicht zur Seite, das machte mir ebenfalls nichts aus. Ich verließ die Wanne und wickelte das Tuch um meinen Körper.
Narina half mir beim Abtrocknen. Ich erkundigte mich nach meiner Kleidung.
»Die liegt hier in der Hütte.«
»Ist alles da?«
Narina hatte den Unterton in meiner Frage genau gemerkt. Lächelnd gab sie Antwort. »Ja, es ist noch alles vorhanden, auch deine Waffen. Du wirst zufrieden sein.«
Ich streichelte ihr Gesicht. »Ich bin fast zufrieden, Narina. Du kannst dir denken, warum ich nur fast zufrieden bin?«
»Sicher.«
»Weshalb konnte ich so plötzlich gerettet werden?«
»Hast du wirklich nicht darüber nachgedacht?«
»Schon. Und ich glaube auch, eine Erklärung gefunden zu haben. Aber ich möchte sie von dir bekommen.«
Narina nickte. Sie ging dorthin, wo auch meine Kleidung lag; Ich folgte ihr langsam.
Sie begann zu reden und hielt den Kopf dabei gesenkt, als wollte sie gegen den Boden sprechen. »Du wirst es sicherlich wessen, John, denn es liegt allein an deinem Kreuz. Ich sah es schon bei meinem ersten Treffen mit dir. Da ist mir aufgefallen, daß dort ein bestimmtes Symbol zu sehen war, dessen ich nicht würdig bin, es auszusprechen. Muß ich dir noch mehr sagen?«
»Nein, Narina, nein. Es ist die Heilige Silbe.«
»Ja, sie ist es.«
Die Heilige Silbe AUM, die dreibuchstabige Einheit, eine mystische Silbe und das feierlichste aller Wörter Indiens. Es ist ein Segenr eine Bestätigung, ein Versprechen. Dieses Wort steht gewöhnlich am Anfang der Heiligen Schriften und vor den Gebeten der Inder. Diese Silbe darf nur von ganz bestimmten Menschen ausgesprochen werden, von würdigen Personen, die bereits die Weihen der höchsten Lehren erhalten hatten.
Ich besaß diese Weihen zwar nicht, auf meinem Kreuz war die Silbe jedoch eingraviert, so daß ich zu denjenigen gehörte, die sie auch aussprechen durften.
Ob es außer mir noch einen Europäer gab, dem dieses Privileg zuteil geworden war, entzog sich meiner Kenntnis.
»Das hast du ihnen gesagt?«
»Ja.«
»Weshalb so spät?«
»Keiner wollte zuvor mit mir reden. Sie wiesen mich stets barsch ab, die Männer wollten deinen Tod.«
Ich ließ das Tuch fallen und griff zur Kleidung. Sie war inzwischen gesäubert worden. Als ich sie überstreifte, schaute mich Narina dabei sehr genau an.
»Du weißt, daß es nicht die einzigen Fragen sind, die mich quälen?«
»Ich kann es mir denken.«
»Wer seid ihr überhaupt? Weshalb habt ihr euch im Dschungel versteckt? Zu wem gehört ihr?«
»Wir sind Befreier.«
Ich hob die Augenbrauen. »Keine Rebellen?«
»Nein.«
»Welches sind eure Ziele?«
»Wir wollen wieder zurück zu den Wurzeln. Wir wollen wieder, daß sich die Menschen vereinen, daß Indien ein Reich wird, daß diese hohe Technisierung verschwindet. Wir wollen keine Atomreaktoren, wir wollen keine hochgerüstete Industrie, die Waffen herstellt, wir wollen…«
»Das will ich auch. Weshalb hat man mich dann gefangen genommen, um mich sogar
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