0677 - Yaga, die Hexe
gegangen zu sein. Ich habe sie unterschätzt, diese Tiere, die sich Menschen nennen. Nun kannst du nicht länger leben, aber du sollst auch nicht länger leiden. Ich verspreche dir - ich werde dich rächen.«
Das Einhorn gab einen leisen Klagelaut von sich.
Yaga sprang auf.
Mit wenigen Schritten war sie bei der Rüstung.
Wieder spürte sie die seltsame Kraft, die in dem Metall steckte. Und sie riß das Schwert aus der Scheide, kehrte damit zum Einhorn zurück.
Jemand schrie auf - der Älteste.
»Ein Sakrileg! Sie berührt das heilige Schwert!«
»Das Schwert des Fürsten Wladimir, der Gottes Wort in dieses Land brachte!«
»Der uns den Priester sandte!«
Das zumindest, dachte Yaga voller Zorn und Verzweiflung, hatte jener Wladimir ganz bestimmt nicht getan. Dieser verkappte Priester, der in Wirklichkeit ein Druide vom Silbermond war, war auf eigene Faust hierher gekommen, nicht durch göttliche Fügung oder das Wirken eines schon vor langer Zeit verstorbenen Christenfürsten.
»Wer euch diesen Teufel sandte«, schrie sie und wies mit dem Schwert auf Sergej, »und wer diesem Teufel gehorcht, verdient nicht zu leben! Hat euer Gott euch Haß gelehrt?«
Das Schwert zuckte und vibrierte in ihrer Hand. Wollte sich ihr entwinden. Aber sie hielt es fest. Sie kehrte zum Einhorn zurück, das Yaga aus schmerzerfüllten, traurigen Augen ansah.
»Verzeih mir«, bat sie ein letztes Mal und erlöste das Wundergeschöpf von allem Schmerz und Leid der Welt.
***
Als es starb, zeigte es sich den Sterblichen in seiner wahren Gestalt. Plötzlich erkannten sie, was sie getan hatten. Sie wichen zurück, verwirrt und bestürzt.
Sergej konnte sie nicht halten.
Auch ihm hatte nicht gefallen, daß sie das Einhorn gefoltert hatten, aber wie hätte er sie noch daran hindern können, nachdem die Situation eskalierte? Er war so weit gegangen, es gab kein Zurück mehr.
Nichts mehr aufzuhalten.
Auch nicht das, was nun folgte. Was die Menschen in atemlose Starre versetzte, als sie sahen, was ihnen unglaublich erschien. Und was selbst ihn beinahe lähmte. Er hatte vieles erwartet, aber nicht, was die Hexe ihnen allen nun zeigte.
Es war der Anfang vom Ende.
***
Yaga trank vom Blut des Einhorns, das aus der frischen Todeswunde strömte, und schnitt das nur noch schwach zuckende Herz aus dem Leib des toten Wunderwesens, um es zu verzehren -sie schlang es förmlich in sich hinein, wie aus furchtbarstem Heißhunger. Dann fetzte sie sich die blutverschmierte Kleidung vom Leib und tanzte sich nackt in Raserei. Eine Melodie, die nur sie hören konnte, tobte in ihrem Kopf und in ihrem Herzen. Ihr Körper glänzte vom Schweiß. Sie wirbelte über den Ort des Todes, wie es kein sterblicher Mensch vermocht hätte. Sie achtete nicht auf das, was um sie herum war; es versank im Nichts der Bedeutungslosigkeit.
Ein Menschwäre längst tot zusammengebrochen, aber die Hexe Yaga tanzte immer noch, ohne Erschöpfung zu zeigen, und irgendwann wurden ihre Bewegungen langsamer; sie hielt inne, hakte das Schwert zwischen Huf und Eisen eines Einhornfußes, und brach das Eisen einfach los, um es an sich zu nehmen. Dann ging sie zur Rüstung hinüber. Mit dem Schwert zerschlug sie in einem einzigen wilden Hieb den oberarmstarken Pfahl, auf welchen diese Rüstung gesteckt worden war. Das Schwert versuchte immer noch, sich zu wehren, aber Yaga brach mit der Kraft ihrer Magie und ihres entfesselten, grenzenlosen Zornes diesen Widerstand.
Mit fast spielerischer Leichtigkeit trug sie Rüstung und Hufeisen zur Schmiede. Der starke Wanja, der sich ihr entgegenstellte, flog durch die Luft, als sie ihn wütend anhauchte. Er schrie so lange, wie er flog, und dann noch einmal, als er auf dem Rest des Pfahls landete, welcher die Rüstung bislang getragen hatte. Er wimmerte nur noch, als das Holz seinen Körper durchdrang, und er starb.
In der Schmiede entfachte Yaga ein Feuer, in dem sie die Rüstung zum Schmelzen brachte. Während die Flammen loderten, der Schatten der Rüstung und der Flammen, die das Eisen umwanden, als wären sie Schlangen, sich an der Wand widerspiegelten, verließ der Geist der Hexe bei diesem Anblick ihren Körper. Er ging hinüber in das Reich der Toten, einer von Winden umtosten Steppenlandschaft.
Auch auf dieser Astralebene existierte die Rüstung. Auch dort stand sie auf einem Holzpfahl aufgesteckt auf einem freien Platz. Von schützenden Blitzen umwoben stand es da. Einsam und verlassen im weiten Reich der Toten. Ein Fremdkörper in der
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