0677 - Yaga, die Hexe
viel später Baba Yaga genannt werden würde - Großmutter Yaga. Zu einer Zeit, als sie schon alt und runzlig geworden war…
***
Ihre Gedanken kehrten zurück in ihre ›Gegenwart‹ des Jahres 1440. Sie bedauerte, ihren Ofen hier und jetzt nicht bei sich haben zu können.
Und sie fragte sich, was aus diesem Silbermond-Druiden Sergej geworden war. Nie wieder war er ihr begegnet, nie wieder hatte sie etwas von ihm gehört. Es war, als hätte sie ihn damals doch getötet.
Sie wußte nicht, daß er sich völlig zurückgezogen hatte, voller Angst, sie würde noch einmal zurückkehren und ihn doch töten. Sie wußte auch nicht, daß er anfangs oft mit dem Gedanken gespielt hatte, sein Leben selbst zu beenden, weil er glaubte, nicht mit der Schuld leben zu können, die er auf sich geladen hatte. Aber dann hatte er auch das nicht fertiggebracht, weil er für seine Schuld büßen wollte - durch die ständige Erinnerung an das Furchtbare, das damals geschehen war, durch ihn verursacht.
Sie wußte auch nicht, daß er seit jener Zeit seine Druiden-Kräfte nicht wieder benutzt hatte. Anfangs, um Yaga nicht aufzufallen. Später dann, weil er sich daran gewöhnt hatte, wie ein normaler Mensch zu leben. Er brauchte die besonderen Fähigkeiten nicht.
Viel Zeit war vergangen, vieles hatte sich verändert. Zaren kamen und gingen, die Revolution kam, die Sowjetunion zerbrach. Was störte es Sergej?
In einem kleinen ukrainischen Dorf hatte er seine Ruhe gefunden. Er hatte über all die Jahrhunderte nicht einmal seine Identität gewechselt. [3]
Aber das alles war Yaga entgangen. Sie hatte auch nie wieder nach Sergej gesucht. Irgendwann hatte er sie einfach nicht mehr interessiert, und sie dachte nicht mehr an ihn - bis sie der Anblick dieses kleinen Dorfes unterhalb der Burg an jenes sibirische Dorf erinnerte und an ihren damaligen Versuch, erstmals unter den Menschen seßhaft zu werden.
Aber es gab keinen gemeinsamen Weg. Sie war Baba Yaga, die alte Hexe, die Großmutter aller Hexen, vor der selbst der Teufel erschrak.
Yaga, jetzt wieder verjüngt und so schön wie einst, trat vom Fenster zurück und verließ den Raum. Über eine große Treppe ging sie nach unten. Sie sah Zamorras Gefährtin, die damit beschäftigt war, Säuberungsarbeit zu verrichten.
Sie lachte auf, weil Nicole Duval sie ihrerseits nicht erkannte - wie denn auch, hatte sie sie doch nur als Baba, als altes Hutzelweiblein, in Erinnerung.
»Warum lachst du?« fuhr Nicole auf.
»Nicole, die feine Dame, macht sich mal die Hände schmutzig«, kicherte Yaga provozierend. »Kann gar nicht schaden, wenn sie dereinst mal heiraten will.«
Nicole erhob sich. »Was soll das?« fragte sie scharf. »Was willst du von mir? Hast du nichts besseres zu tun, als herumzulungern und andere zu verspotten? Sieh zu, daß ich diesen Putzeimer nicht über dir ausleere!«
Yaga lachte wieder und zog sich zurück. »Oh, wie ich mich fürchte«, rief sie und ließ die Tür hinter sich zufallen.
Es machte beinahe Spaß, zu sehen, wie sie rätselten. Yaga war ihnen immer um ein paar Nasenlängen voraus. Aber sie wußte, daß sie auch vorsichtig sein mußte.
Denn diese beiden Menschen waren gefährlich. Keine solchen hirnlosen Narren wie der Druide Sergej.
Aber sie arbeitete daran, ihre Position weiter zu verbessern. Immer noch wußte sie nicht, wer die ominöse ›Puppenspielerin‹ war und wo in dieser Burg sie sie finden konnte.
Und das gefiel ihr gar nicht.
***
»Wer ist diese Frau?« fragte Nicole später, als sie in ein paar freien Minuten auf Zamorra traf. »Sie hat eine große Klappe, als wäre sie hier die Herrin. Aber das ist sie doch nicht, verdammt noch mal!«
»Sie ist auch nur eine Dienstmagd«, sagte Zamorra, »soweit ich weiß.«
»Was heißt hier, ›auch nur‹?« fauchte Nicole matt. »Möchtest auch du einen Eimer mit Schmutzwasser über den Kopf?«
»Pardon, Haarewaschen ist laut Hausordnung erst Ende der Woche wieder gestattet«, brummte Zamorra sarkastisch. »Mich hat sie übrigens auch schon angepflaumt. Ich hatte das Mißvergnügen, den Boden schrubben zu dürfen…«
»Ich denke, du bist als Pferdeknecht bestallt… hm, nettes Wortspiel…«
»Bestellt heißt das, wenn ich mich nicht irre… Aber keine nette Arbeit, und zusätzlich darf ich auch noch alles Mögliche und Unmögliche an anderen Arbeiten erledigen, wenn irgend jemand von den höheren Herrschaften der Ansicht ist, ich hätte nicht genug zu tun. Wie auch immer - ich hockte am Boden, als
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