0679 - Der Blutbrunnen
erwähnt.«
»Frag sie.«
Ich winkte ab. »Die Frau redet nur, wenn sie will. Die weiß genau, wo es langgeht.«
»Anscheinend.«
Veronique war stehengeblieben und winkte uns zu. Sie stand vor den leeren Gruben und schaute in die Tiefe. »Nichts«, sagte sie leise.
»Kein Sarg ist zu sehen.«
»Was denken Sie?«
»Ich weiß nicht, weshalb die Beerdigung ausfiel. Wir sollten nach Coray fahren und dort fragen.«
»Das meine ich auch.«
Wir drehten uns um. Wieder war Veronique sehr schweigsam geworden. Als ich sie auf den Blutbrunnen ansprach, vertröstete sie mich auf einen späteren Zeitpunkt.
Im Wagen sitzend, preßte sie die Hand vor ihr Gesicht. Wir hörten sie sprechen, verstanden aber nichts. Suko wendete und rollte den Weg zurück.
»Was haben Sie, Veronique?« fragte ich leise.
Sie ließ die Hände sinken. Ihre Augen schimmerten rot. »Es wird schlimm, glaube ich. Noch schlimmer als damals. Er ist zurückgekehrt, er kennt kein Erbarmen.«
»Wen meinen Sie?«
»Den Teufelsboten. Er hat hier alles noch unter Kontrolle, ebenso wie damals. Nichts hat sich geändert. Nur die Menschen und ihre Häuser sind andere. Wir werden den Horror erleben, und ich glaube nicht, daß Sie die nächste Nacht je vergessen werden.«
»Verdammt noch mal, was wissen Sie, Veronique?«
»Zu wenig – leider.«
»Und wir wissen gar nichts.«
»Das wird sich ändern.«
Die Antwort hatte ich mir auch selbst geben können. Ich ärgerte mich über eine derartige verstockte Haltung, wurde aber abgelenkt, da wir in Coray einrollten.
Es war ein kleiner Ort, sicherlich eine Idylle mit ebenfalls kleinen Häusern, zu denen Garten gehörten. Der Turm einer Kirche schaute hoch in den Himmel, und als wir einfuhren, läuteten die Glocken, als wollte man uns begrüßen.
»Das gilt sicherlich nicht uns«, sagte ich.
»Nein, John, sie sind wohl alle in der Kirche und halten eine Totenmesse, was mich wiederum wundert, denn die Andacht sollte in der Trauerhalle stattfinden.«
»Eine Änderung – na und?«
»So dürfen Sie das nicht sehen. Hier hat alles seine bestimmten Gründe. Es muß etwas passiert sein.«
Suko hielt auf der Straße an, über die der Wind pulvrigen Schnee als Staubwolken blies »Soll ich zur Kirche fahren oder.«
»Nein, fahren Sie bitte weiter.«
»Und wohin?«
Veronique überlegte. Sie schaute nach rechts und links, suchte nach einem Hinweis, bis sie einen Halbwüchsigen sah, der geduckt und die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben, über den Gehsteig schlich, als hätte er ein schlechtes Gewissen.
»Warten Sie!« Veronique stieg aus.
Wir wunderten uns über nichts. Der Halbwüchsige kannte sie. Vor ihm blieb sie stehen und redete heftig auf ihn ein. Der junge Mann nickte, deutete die Straße hoch und sagte etwas, das die Frau erschütterte, denn sie schritt unwillkürlich zurück. Dabei preßte sie ihre Hand gegen den Mund und hielt den Halbwüchsigen nicht auf, als er weiterging.
Aus dem Seitenfenster rief ich ihren Namen.
Die Frau erwachte wie aus einem Traum, drehte sich um, ging mit steifen Schritten auf den Wagen zu, stieg ein, hämmerte die Tür ins Schloß und sagte tonlos.
»Fahren Sie!«
»Wohin?«
»Geradeaus, Suko, bitte«
Ihre Stimme klang, als würde Eis brechen. Diese Frau mußte etwas Schreckliches erfahren haben. »Wollen Sie uns nicht endlich sagen, was Sie hörten?«
»Nein!« schrie sie. »Nein, ich will es nicht. Ich kann es auch nicht, verdammt!«
Ich schwieg, hörte sie schwer atmen, dann ihr leises Weinen. Auch Suko vernahm die Geräusche. Er schaute mich an, ich hob die Schultern, und so rollten wir weiter durch das leere Dorf, das deshalb so gespenstisch wirkte.
»Wenn gleich die Einmündung einer schmalen Gasse erscheint, fahren Sie bitte nach links.«
»Mach’ ich.«
Die Gasse war vereist, der Wagen rutschte, schrammte einmal kurz mit der Stoßstange an einem Zaun entlang und erreichte dann einen Platz, wo wir zwei Häuser sahen.
Ein Wohnhaus und einen flacheren Anbau.
»Es ist die Werkstatt des Schreiners Trachet«, erklärte uns die Frau beim Aussteigen. Sie putzte ihre Nase und schüttelte den Kopf.
Dann wandte sie sich an uns, sprach noch nicht, so daß zwischen uns das lastende Schweigen lag.
»Wenn der Junge recht gehabt hatte, werden wir bald das Grauen zu sehen bekommen.«
»Ist gut. Wollen Sie hier draußen warten?«
»Nein, wir müssen in die Werkstatt.« Sie gab sich einen Ruck und übernahm die Führung.
Veroniques Worte hatten auch bei
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