0679 - Der Blutbrunnen
wir durch die Bretagne rollten, doch im Osten bekam der Himmel bereits ein kräftiges Rot.
Der Wetterbericht machte uns Hoffnung. Es sollte ein klarer, aber kalter Tag werden mit höchstens vereinzelten Schneefällen, die sich mehr auf die südlichen Landesteile beschränkten.
Die Straßen waren gut zu befahren, auch wenn an manchen Stellen vor Glatteis gewarnt wurde.
Später, als es dann über Nebenstrecken ging, kamen wir nicht mehr so flott voran. Aus einem Café besorgte ich etwas zu essen.
Die frischen Hörnchen schmeckten gut. Zusätzlich waren sie mit Lachs belegt worden. Suko war happy, daß er wieder in seinem BMW sitzen konnte, den er in Indien mehr als vermißt hatte.
»Kommt sie – kommt sie nicht?« fragte Suko irgendwann einmal, als es ihm zu langweilig wurde, immer still zu sein.
Ich hatte mir auch Kaffee aus dem Laden mitgebracht und nippte am Plastikbecher. »Du meinst doch Veronique Blanchard?«
»Sicher.«
»Sie wird bereits dort sein.«
»Warum hat sie nicht mehr angerufen?«
»Keine Ahnung, Alter.«
Suko nickte in Richtung Scheibe. »Auf die Person bin ich mal gespannt, das kannst du mir glauben.«
»Sie ist attraktiv.«
»Was sagt das schon?«
»Da hast du recht. Auch schöne Frauen können sich in Todesengel verwandeln. Das haben wir schon öfter erlebt.«
Die Landschaft der Bretagne hatten wir im Winter noch nicht erlebt. Auch jetzt, wo der Schnee eine geschlossene Decke bildete, war etwas von der Weite zu spüren, für die dieses Stück Frankreich berühmt ist. Über allem stand ein prächtiger Morgenhimmel, der aussah wie feine blaue Seide. Da Suko es sich nicht nehmen ließ, selbst zu fahren, schloß ich ein wenig die Augen. Auch wenn ich Kaffee getrunken hatte, konnte ich mich entspannen.
Ich dämmerte tatsächlich dahin und wurde erst wach, als Suko anhielt und ich das Knistern von Papier hörte. Ich schaute nach rechts, wo Suko eine Karte entfaltete. Er schielte mich über den Rand hinweg an. »Na, wieder wach?«
»Wie du siehst.«
»Wir sind gleich da. Ich muß nur schauen, wo wir genau abbiegen werden. Das ist alles ein wenig kompliziert hier.«
Auf der Fähre hatten wir die Route bereits mit dem Kugelschreiber nachgezeichnet. Suko brauchte nur den Strichen zu folgen und wußte auch schnell Bescheid.
»Nach dem nächsten Dorf links.«
»Dann fahr mal.«
Der Morgen näherte sich dem Mittag, als uns ein erster Blick auf den Ort Coray gelang. Er lag etwas tiefer als die Straße, die über einen blanken, schneebedeckten Höhenrücken führte und sich in einer Kurve dem Ziel entgegenwand.
Hier war nicht geräumt worden. Auf der gesamten Straße lag eine festgefahrene Schneedecke. Die Winterreifen schafften alles. Wie erstarrt sah die Landschaft aus. Manchmal erinnerte sie mich an ein Gemälde. Es gab kaum Bewegungen, nur über den Dächern der Häuser, wo sich der aus den Schornsteinen dringende Rauch verteilte.
Und plötzlich stand sie da.
Woher die gekommen war, hatten wir nicht gesehen. Möglicherweise hatte sie hinter einem dicken Felsen gelauert, jedenfalls trat sie mit lässig wirkenden Bewegungen auf die Straße, und sie trug diesen Mantel, den ich schon von London her kannte.
»Das ist sie, Suko.«
»Habe ich mir fast gedacht.« Suko bremste vorsichtig, und der BMW schob sich langsam näher. Vor Veronique kam er zur Ruhe.
»Ja, sie ist attraktiv, John.«
»Habe ich dir doch gesagt.«
Wir blieben sitzen, denn sie hatte sich in Bewegung gesetzt und trat an die Beifahrerseite. Ich hatte die Scheibe nach unten fahren lassen. Die Frau bückte sich und brachte ihr Gesicht dicht an die Scheibe. Man sah, daß sie gefroren hatte.
»So sieht man sich wieder«, begrüßte ich sie.
»Ja, John«, lächelte sie. »Es mußte ja so sein. Ich wußte, daß Sie kommen würden.«
»Der Brief, nicht?«
»Natürlich.«
»Sie wollten noch anrufen.«
Veronique hob die Schultern. »Das hätte ich auch später sicherlich getan. Aber ich ging davon aus, daß ich selbst überzeugend genug gewesen bin.«
»Gut gedacht.«
»Darf ich mit Ihnen fahren?«
»Wenn Sie wollen.«
Sie stieg hinter mir ein. Suko drehte sich um und begrüßte die Frau. Er wollte sich vorstellen, Veronique aber schüttelte den Kopf.
»Ich weiß ja, wer Sie sind.«
»Hat sich das schon bis zu Ihnen herumgesprochen?«
»Natürlich. Ich habe mich vorher informiert. Schließlich wollte ich nicht die Katze im Sack kaufen. Ich muß mich einfach auf Sie verlassen können. Außerdem ist John Sinclair
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