0679 - Der Blutbrunnen
diesem Ort etwas schuldig.«
»Ach ja? Was denn?«
Sie winkte ab. »Das erzähle ich Ihnen später. Lassen Sie uns jetzt fahren.«
»Sind die Toten bereits unter der Erde?« erkundigte sich Suko.
»Nein, die Beerdigung ist heute. Sie kommen gerade recht. Wollen Sie daran teilnehmen?«
Suko schaute mich an. »Willst du?«
»Wäre nicht schlecht. Was meinen Sie, Veronique?«
»Sicher, wir kommen noch pünktlich, schätze ich. Allerdings muß ich Ihnen dazu etwas erklären.«
»Was, bitte?«
Sie senkte den Blick. »Ich wohne nicht direkt im Ort, habe jedoch auf Umwegen erfahren müssen, daß sich dort etwas ereignet hat, was mit den vier Toten zusammenhängt.«
»Was ist es?«
Sie hob die Schultern. »Keine Ahnung. Wir werden es am Friedhof erfahren. Er liegt außerhalb und auf der Höhe. Sie können also auf dieser Straße bleiben.«
»Wie Sie wünschen, Mademoiselle.«
Veronique Blanchard lehnte sich zurück und sprach gegen den Wagenhimmel. »Ein Spaziergang wird es nicht werden, das war es schon damals nicht, als Hector de Valois gegen ihn antrat.«
»Gegen wen und wieso?«
Sie lächelte weich. »John, das ist eine lange Geschichte. Sie werden sie schon erfahren, keine Sorge. Doch auf Ihnen ruht eine Erblast. Durch Ihr Kommen haben Sie bewiesen, daß sie dieses Erbe annehmen wollen. Ich finde es gut.«
»Ich weniger, weil ich nicht weiß, was ich erben werde.«
Sie hob nur die Schultern.
»Und überhaupt«, sprach ich weiter. »Wie sind Sie eigentlich auf mich gekommen?«
Da lachte die Frau. »Man kennt Sie eben.«
»Nein, das akzeptiere ich nicht.«
»Mein Mann redete von Ihnen. Er hat Sie zwar nicht persönlich gekannt, doch er wußte genau Bescheid.«
»Wunderbar. Wer war er?«
»Ein Templer!«
Diese locker gesprochene Antwort stoppte meine Stimme. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich schüttelte den Kopf, strich über meine Stirn und flüsterte: »Sagen Sie das noch mal.«
»Er war ein Templer. Zwar gehörte er nicht zum direkten Kreis eines Abbé Bloch, aber er stand ihnen sehr nahe. So nahe, daß er gewisse Zusammenhänge kannte und auch von Ihrer Rolle wußte, die Sie in diesem großen Fall spielen. Mein Gatte führte Aufträge für die Templer durch. Er war Forscher und Historiker. Er kannte sich aus, war in allen großen Büchereien der Welt zu Hause und sammelte Material, das er seinen Brüdern zukommen ließ. Er war passives und gleichzeitig aktives Mitglied des Zirkels. Leider kein guter Autofahrer, er verunglückte tödlich. Mich hatte er ab und zu eingeweiht, so war es nur eine logische Folge, daß auch Ihr Name fiel, John. Zudem stammen meine Vorfahren alle aus dieser Gegend. Der Name de Carnais ist uns nicht unbekannt.«
»Und wer ist das schon wieder?«
»Eine Frau, die Hector de Valois sehr gut gekannt hatte. Ist Ihnen der Name noch nicht untergekommen?«
»Leider nein.«
»Das ist schade.«
»Weiter, Mademoiselle.«
»Nehmen Sie den Weg rechts, Suko. Er führt direkt zum Friedhof. Der Ort liegt auf der Hügelkuppe.«
Es war schon ungewöhnlich, denn von einem Friedhof war nicht viel zu sehen. Es gab weder Bäume noch eine Mauer, nur dunkle Steine und Kreuze, die aus dem Schnee ragten.
Und es hielt sich kein Mensch dort auf.
Ich drehte mich auf dem Sitz und schaute in den Fond. »Na, Veronique, was sagen Sie dazu?«
»Nichts«, flüsterte sie, »gar nichts. Ich verstehe es nicht. Eigentlich hätte die Beerdigung jetzt sein müssen.«
»Soll ich anhalten?«
»Ja, Suko, bitte.«
Wir stiegen aus. Ich beobachtete das Gesicht der Französin und war der Meinung, daß sie nicht schauspielerte, denn ihr Erstaunen war echt. Sie konnte sich keinen Reim auf die Leere machen. Es gab niemand, der sich auf dem Areal bewegte.
Zu diesem Friedhof paßte tatsächlich der Ausdruck Totenstille…
Nebeneinander schritten wir durch den knirschenden Schnee. Veronique hatte die Hände in den seitlichen Manteltaschen vergraben, ging und schüttelte den Kopf.
»Noch immer keine Erklärung?«
»Nein.«
»Wo wollen Sie hin?«
Sie blieb stehen und drehte sich. Der Wind fuhr hier oben scharf gegen unsere Gesichter. Ich selbst kam mir irgendwie fremd in dieser Szene vor.
»Ich möchte mir eigentlich die Gräber anschauen«, flüsterte sie mit ihren blassen Lippen.
»Die leeren?«
»Möglicherweise.«
Sie ging vor, und Suko fragte mich leise: »Kommst du hier zurecht?«
»Noch nicht. Eigentlich sind wir ja wegen des Brunnens hergekommen. Aber den hat sie noch nicht
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