0679 - Der Blutbrunnen
»Dann meinetwegen einer von uns. Der andere kann als Rückendeckung dienen.«
»Und wer geht?«
»Losen wir?«
»Hör auf.«
»Ich«, sagte Suko, »denn ich habe auch den Vorschlag gemacht. Einverstanden?«
»Im Prinzip schon. Nur glaube ich kaum, daß sie dich durchlassen werden. Du bist ein Fremder, du gehörst nicht zu ihnen.«
»Vielleicht will ich das.«
»Was?«
Suko grinste. »Unruhe hineinbringen. Die Reigen da ein wenig auflockern.«
Ich bewegte den Kopf. So ganz war ich damit nicht einverstanden.
Aber Suko verstreute meine Bedenken.
Er schlug mir auf die Schulter und schlich davon. Ich rief auch nichts mehr hinter ihm her, es hatte keinen Sinn. Ich mußte Suko allein ziehen lassen.
Sein Gang hatte etwas Entenartiges. Bei jedem Schritt mußte er ein Bein zuvor aus dem dicken Schnee ziehen, bevor er das andere hineinstemmte. Zum Glück änderte er die Richtung und bewegte sich dort weiter, wo die Ankömmlinge den Schnee bereits flacher getreten hatten.
Suko war vorsichtig. Er wollte nicht zu früh entdeckt werden und suchte nach einer Lücke, durch die er sich drücken konnte. Er hatte vor, sich auf den Brunnen zu stellen, um von dort aus seine Überraschung wirken zu lassen.
Noch hatte sich nichts verändert. Weiterhin flackerte das Licht sehr unruhig. Aber der Wind reichte bei weitem nicht aus, um die Fackeln zu löschen. Zwar spielte er mit ihnen, sie aber leuchteten weiter und strichen auch sehr dicht an seiner Kleidung entlang. Ein Wunder, daß noch kein Mantel in Brand stand.
Es sah nicht gut für Suko aus. Er suchte und fand keine Lücke.
Deshalb schlug er einen Bogen, um es an der anderen Seite zu versuchen. Und da hatte er mehr Glück.
An einer bestimmten Stelle standen ein Mann und eine Frau. Die Frau höher als der Mann, sie hatte ihre Platz auf einem kleinen Buckel gefunden. Zwischen den beiden brannte eine Fackel, aber die Lücke reichte aus, um Suko hindurchzulassen.
Er duckte sich noch tiefer und blieb stehen, als er die beiden Menschen mit der ausgestreckten Hand berühren konnte.
Nichts hatten sie bemerkt. Im unruhigen Licht sahen ihre Gestalten aus, als wollten sie tanzen.
Suko wagte es.
So schnell, wie es der Schnee zuließ, bewegte er sich. Er spürte den heißen Hauch des Feuers über seinen Kopf hinwegstreichen, stieß den Mann noch mit der Schulter zur Seite und war endlich durch.
Die Strecke bis zum Brunnen legte er mit drei weiteren Schritten zurück. Er sah, daß er vereist war, auch wenn an einigen Stellen der Schnee zusammenfloß.
Auf dem Rand des Auffangbeckens blieb er stehen. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel, als er gegen die Männer und Frauen schaute, die einfach zu überrascht waren, um etwas gegen ihn zu unternehmen.
Nur aus dem Hintergrund hörte er eine Stimme. »Du bist nicht Leroque. Nein, du bist ein Fremder!«
»Sehr richtig!« rief Suko und hoffte, daß er laut genug sprach, um auch von John Sinclair gehört zu werden. »Ich bin ein Fremder, und ich bin gekommen, um euch alle vor einem Schicksal zu bewahren, das nur mit dem Tod enden kann. Geht weg, geht nach Hause! Hier könnt ihr nichts erreichen, nur sterben!«
Er glaubte selbst nicht daran, daß seine Worte fruchteten, aber er wollte es wenigstens versucht haben.
Sie schauten ihn nur an. Sie sagten nichts, ließen nur ihre Blicke sprechen. Und Suko stellte mit Bedauern fest, daß er gegen diese Menschen nichts ausrichten konnte.
Sie waren lange genug vorbereitet worden und voll und ganz auf den Teufelsboten fixiert.
»Was ist?« rief der Inspektor. »Warum steht ihr noch hier? Wollt ihr euch freiwillig opfern?«
»Er wird dich töten!«
»Nein, das wird er nicht! Hört zu, ich werde…«
Suko sah den Schatten zu spät. Er hatte zudem in den Fackelschein schauen müssen und der blendete ihn. Der Schatten war ein dicker, harter, kantiger Eisklumpen. Derjenige, der ihn geworfen hatte, konnte sehr gut zielen.
Leider auch bei Suko.
Zwar erwischte der Eisbrocken nicht sein Gesicht, er schlug jedoch gegen die Stirn, und vor Sukos Augen zerplatzten zahlreichen Sterne, bevor sie in die Dunkelheit des Alls schossen.
Er selbst konnte sich auf der glatten Fläche nicht halten, hinzu kam die Schwäche, so daß Suko austuschte und rücklings in das Brunnenbecken hineinfiel.
Seinen dumpfen Aufschlag begleiteten die Zuschauer mit heiserem Lachen und schrillen Rufen. Suko hörte die Geräusche zwar, aber sie kamen ihm vor wie durch einen dichten wattigen Nebel gedämpft. Alles hatte
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