0679 - Der Blutbrunnen
sich verändert, die Welt schien eingepackt worden zu sein. Er wollte sich erheben, das war nicht möglich. Nur ein Zucken rann durch seinen Körper. Und er spürte ebenfalls, daß der Eisklumpen ihm die Stirn aufgerissen hatte. Aus der Wunde quoll Blut, das nicht allein auf seine Stirn begrenzt blieb, daran herunterrann und als Ziel den Boden des Brunnens fand.
Kaum hatten die ersten Tropfen Kontakt bekommen, als Suko das Zischen hörte.
Einen Moment später wallte ein rötlicher Nebel in die Höhe. Die Berührung des Blutes mit dem Brunnenboden war so, als hätte man einen Motor gestartet, um ein bestimmtes Ereignis zu forcieren.
Sukos Blut erfüllte den Brunnen mit seiner alten, grausamen Kraft, die genau richtig für Leroque war.
Bisher hatte ihn noch keiner gesehen, aber er war in der Nähe und hatte mitbekommen, wie die ersten Schwaden in die Höhe stiegen und wie Nebel durch den Lichtschein trieben.
In seinen Augen stand plötzlich ein irrer Glanz. Er senkte den Kopf und schaute gegen das Gesicht seiner Geisel.
»Du hast Glück gehabt!« flüsterte er, »du bist nicht die erste Person, deren Blut den Brunnen tränken wird. Es ist einer vor dir hineingefallen. Einer, der mich stoppen wollte.«
Es dauerte eine Weile, bis Veronique die Worte begriffen hatte.
»Wer ist hineingefallen?«
»Ein Mann mit Schlitzaugen!«
»Suko!« keuchte die Frau.
»Das spielt keine Rolle.« Er lachte. »Jedenfalls werde ich meine Herrschaft antreten können.«
Mit diesen Worten beendete er seine Erklärungen und durchbrach den Kreis seiner Diener…
***
Ich hatte es geahnt und verfluchte mich, weil ich Suko nicht zurückgehalten hatte. Jetzt war alles zu spät. Ich saß einfach zu nahe daran, um wegschauen zu können.
Sie hatten ihn reingelegt. Jemand hatte sich gebückt und einen dicken Eisklumpen auf ihn geworfen. Leider war mir dieses entgangen, aber Suko lag im Brunnen, und auch mir fielen die trägen Schwaden auf, die durch den Fackelschein zogen.
Sie stiegen aus dem Zentrum, und ich konnte mir noch keine Vorstellungen davon machen, woher dieser Nebel so plötzlich kam.
Jedenfalls war ich gezwungen, sofort einzugreifen, da ich mir vorstellen konnte, daß ein Mensch wie Suko für die Meute das richtige Opfer war, um ihrem Herrn und Meister etwas zu beweisen.
Ich kroch jetzt voran. Es war mir egal, daß ich mich über die glatte Fläche auf dem Bauch bewegte. Jedenfalls sollten sie mich so spät wie möglich sehen.
Eine ungewöhnliche Perspektive für mich. Ich sah vor mir die Körper der Wartenden hochragen, ihre schräggestellten Beine und auch die Stiefel, die oft bis zu den Schienbeinen im tiefen Schnee verschwunden waren.
Dazwischen tanzte das Licht der Fackeln. Eine Mischung aus Hell und Dunkel, Schwarz, Rot und Gelb.
Ich bewegte mich weiter. Die Kälte drang durch meine Kleidung.
Sie legte sich wie Reif um meine Haut. Eiskörner glitten durch mein Gesicht, klebten auf den Lippen und in den Nasenlöchern.
Ich schob mich etwas weiter nach links, weil ich dort durch eine größere Lücke schauen konnte.
Da sah ich Suko.
Er lag im Brunnen. Genau dort, wo sich sein Körper über den Rand hinweg abzeichnete, befand sich auch das Zentrum der Nebelwolken. Sie sahen so aus, als würden sie aus der Gestalt des Inspektors hervorsteigen. Hatte er damit zu tun?
Etwas anderes lenkte mich ab. Es war die Gestalt gegenüber. Und sie überragte die dort stehenden Menschen.
Das mußte er sein.
Und er durchbrach den Kreis.
Leider nicht allein, denn auf seinen Armen lag Veronique Blanchard, seine Geisel!
***
Das hatte mir gerade noch gefehlt. Jetzt sanken meine Chancen auf den Gefrierpunkt. Es paßte ja auch zu diesem eisigen Wetter, dachte ich mit Galgenhumor.
Er trug sie, wie einst Christopher Lee als Dracula seine Opfer getragen hatte. Quer über den ausgebreiteten Armen liegend. Ihr Kopf hing nach unten. Das Haar wehte und sah manchmal so aus, als sollte es sich in den Falten der Kutte verklemmen.
Angestrahlt vom Schein der Fackeln, boten die beiden Gestalten ein gruseliges Bild, und es war zu sehen, wie diese verdammte Person ihren Auftritt genoß.
Es wurde auch still. Niemand traute sich, auch nur ein Wort zu flüstern. Ihr Meister war erschienen, endlich und diesmal nicht nur als Schatten, sondern leibhaftig.
Er stand da, schaute in die Runde und trat erst nach einer gewissen Weile vor. Dabei ging er direkt auf den Rand des Brunnens zu, denn er war sein wichtigstes Ziel.
Aus dem Becken quoll noch
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