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0679 - Der Schrecken von Botany Bay

0679 - Der Schrecken von Botany Bay

Titel: 0679 - Der Schrecken von Botany Bay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Mannes: Mehr als zehn Schwarze richteten sich wie Geister aus dem kniehohen Gras auf. Sie hoben ihre Speere und blieben drohend stehen.
    »Bloody hell«, fluchte einer der Soldaten. »Wo kommen die denn her?«
    Das hätte Zamorra auch gern gewusst. Er glaubte nicht, dass sie zufällig aufgetaucht waren. Es war wesentlich wahrscheinlicher, dass sie dem verhinderten Hühnerdieb die ganze Zeit über gefolgt waren. Aber warum hatten sie dann nicht früher eingegriffen?
    Die Soldaten sahen sich nervös an. Theoretisch waren ihre Musketen zwar den primitiv aussehenden Speeren der Eingeborenen überlegen, praktisch zählte in dieser Lage jedoch nicht die Durchschlagskraft, sondern die Geschwindigkeit. Nur zwei der Musketen waren geladen, und Zamorra schätzte, dass die Soldaten ungefähr eine halbe Minute zum Nachladen benötigen würden. Eine halbe Minute aber reichte den Kriegern, um sie alle mit Speeren zu durchbohren.
    Die Uniformierten wussten, dass sie unterlegen waren. Der Mann, den sie Dan nannten, stieg mit langsamen Bewegungen auf sein Pferd und hob die Hände.
    »Macht jetzt keine Fehler. Wir sind vielleicht wenige, aber es werden mehr zurückkommen, wenn wir nicht kommen, also…«
    »Ach, halt's Maul«, unterbrach ihn Henry genervt. »Lass uns einfach von hier verschwinden und Jeffrey abholen, bevor die Wilden uns doch noch angreifen.«
    Die beiden anderen nickten und wendeten mit betont langsamen Bewegungen ihre Pferde. Der Ältere blieb einen Moment zurück.
    »Komm mit uns«, sagte er zu Zamorra. »Du bist stark. Die Peitsche wird dich nicht umbringen. Kein wahrer Mensch sollte mit den wilden Heiden im Busch bleiben müssen.«
    Der Dämonenjäger schüttelte den Kopf. »Die wilden Heiden lassen euch abziehen, obwohl ihr einen von ihnen töten wolltet. Denk darüber mal nach…«
    Der Soldat schnaubte verächtlich und setzte sein Pferd in Bewegung.
    »Du wirst schon sehen, was du davon hast«, knurrte er.
    Er gab seinem Pferd die Sporen und schloss zu den anderen Uniformierten auf. Zamorra sah ihnen nach, bis sie hinter den Hügeln verschwunden waren, dann kehrte sein Blick zu den Kriegern zurück, die mit langen Schritten auf ihn zukamen. Einer hatte das Huhn wieder eingefangen.
    Wenn das mal kein Fehler war, dachte Zamorra mit leichter Besorgnis. Er hatte instinktiv reagiert, als er sich auf die Seite der Schwarzen schlug, wusste dabei aber nicht, ob er bei ihnen überhaupt erwünscht war.
    Die Krieger hatten ihn fast erreicht. Zamorra unterdrückte mühsam seinen Ekel, als eine Wolke aus Gestank ihn einhüllte. Den Grund für diesen bestialischen Geruch entdeckte er schnell: Die meisten der Männer trugen halb verweste Fischeingeweide in den Haaren, deren traniger Saft über ihre Gesichter und Schultern lief.
    Zamorra schüttelte sich innerlich.
    Der Hühnerdieb, der immer noch neben ihm stand, bemerkte seinen Gesichtsausdruck und schlug ihm gutmütig auf die Schulter.
    »Na ja, riecht nicht gerade nach Rosenwasser, aber es hält die Mücken fern«, sagte er in einwandfreiem Englisch.
    ***
    Gegenwart:
    »Was ist denn los?«, fragte Thomas Watling nervös.
    Nicole sah ihn an. »Lass es mich so sagen. Du bist vom sprichwörtlichen Regen in die Traufe geraten, beziehungsweise von einer Gefangeninsel auf die andere.«
    »Willst du damit sagen, dass England…«
    Watling brach ab. Nicole konnte die Verzweiflung in seinen Augen sehen. Innerhalb von nur wenigen Stunden brach für ihn zum zweiten Mal eine Welt zusammen.
    »Das ist unmöglich…«, sagte er tonlos. »Aber wie…«
    »Die Gefängnisinsel entstand aus einer Notlösung. Zuerst…«
    Jetzt war sie es, die ins Stocken geriet. Sie wusste zwar, dass England bis hinauf nach Hull als Gefängnis diente und mit einer großen Verteidigungsanlage vom Rest des Landes abgetrennt wurde, aber sie konnte beim besten Willen nicht sagen, wieso das so war. Es war, als habe sich ein Schleier über ihre Erinnerung gelegt, den sie nicht zur Seite schieben konnte, egal, wie sehr sie sich bemühte.
    Watling bemerkte ihre Unsicherheit. »Weißt du nicht, was hier geschehen ist?«
    »Nein«, gab Nicole zu. »Ich müsste es wissen, aber ich kann mich nicht erinnern.«
    Die ganze Situation erschien ihr plötzlich surreal, wie ein Traum, aus dem sie gleich erwachen würde. Die abgebrannte Farm, der trübe Himmel, die körperlose, alte Stimme, ihre Zelle - all das wirkte seltsam zweidimensional, so als sei sie nicht mehr als die Betrachterin eines halbfertigen Bildes.
    Das ist

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