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0679 - Der Schrecken von Botany Bay

0679 - Der Schrecken von Botany Bay

Titel: 0679 - Der Schrecken von Botany Bay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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es, dachte Nicole, dieser Ort wirkt unvollendet.
    Sie drängte die Fragen, die sie beschäftigten, zurück. Es war wichtiger, erst einmal aus diesem Gefängnis herauszukommen.
    »Hast du sehen können, wer dich hierher gebracht hat?«, wandte sie sich an Watling.
    Der schüttelte den Kopf. »Nein. Er stand plötzlich hinter mir. Ich glaube, es ist ein alter Mann, ein Verrückter.«
    »Wieso verrückt?«
    »Er sprach mich die ganze Zeit im Plural an, als wären noch andere bei mir. Hört sich für mich ziemlich verrückt an.«
    Nicole fiel plötzlich wieder ein, dass der Unbekannte zu ihr Geh rein zu den anderen gesagt hatte, obwohl Watling allein in dem Raum war. Wenn er tatsächlich verrückt war, dann war ihre Lage gefährlicher, als es momentan den Anschein hatte.
    Die Dämonenjägerin tastete nach dem Dhyarra in ihrer Tasche. Sie musste sich auf einen Angriff vorbereiten.
    Watlings Räuspern riss sie aus ihren Gedanken. »Nicole«, sagte er langsam, »es tut mir leid, dass ich dich in Schwierigkeiten gebracht habe. Das war nie meine Absicht. Ich wollte nur ein menschenwürdiges Leben führen.«
    Nicole nickte. »Ich verstehe das. Mach dir keine Sorgen. Wir kommen hier schon wieder raus.«
    Der Aborigine, der zusammen mit Watling in den kleinen Raum gelangt war und seitdem stumm und unsichtbar in einer Ecke gestanden hatte, begann zu singen. Die beiden Weißen hörten die monotone, dunkle Melodie nicht, die aus seinem Mund drang. Er ging langsam um Nicole herum, betrachtete sie wie eine besondere Kuriosität, die er gerade erst entdeckt hatte. Nach einer Weile brach er die Melodie unvermittelt ab und kehrte an seinen Platz zurück.
    Er wartete.
    ***
    Gulajahli empfing die Botschaften seiner Agenten über die verschlungenen Pfade der Traumzeit. Sie sangen zu ihm von den Errungenschaften des weißen Mannes und erklärten, was er in ihren Bildern sah. Der Schamane lernte Worte wie Guerillakrieg , Partisanen, Widerstandskämpfer und verbrannte Erde. Flüsternd sprach er die seltsamen Laute aus fremden Sprachen nach.
    Irgendwann begegnete er bei diesen Wanderungen einem besonderen Agenten. Er lauschte seiner Melodie und war überrascht, dass in ihrem Zentrum eine Frau stand. Es dauerte einen Moment, bis er in ihr die Gefährtin des Weißen Zamorra erkannt hatte. Der Schamane stutzte, als er bemerkte, dass er ihren Weg in der Traumzeit nicht klar vor sich sah. Sie schien aus der Welt, die er erschaffen hatte, auf merkwürdige Weise herauszuragen, so als gehöre sie nicht wirklich hinein.
    Gulajahli hatte ihr keinen eigenen Agenten zugeteilt, weil er es nicht gewohnt war, darauf zu achten, was Frauen taten. Sie sammelten schließlich nur Nahrung und Holz, taten also nichts, was die Geschicke des Stammes in irgendeiner Weise beeinflussen konnte. Der Schamane verstand nicht, warum diese Frau sich dem Engländer Watling nicht unterordnete. Schließlich war er doch ein Mann.
    Gulajahli seufzte. Er allein bestimmte über das Schicksal einer ganzen Welt und doch konnte er ihre Bewohner nicht begreifen. Vielleicht hätte er der Frau einen eigenen Beobachter gewähren sollen, aber es war zu spät, um den Plan zu ändern. Alle Figuren des Spiels standen auf ihren Plätzen und mussten sich so verhalten, wie es in ihrem Wesen lag. Etwas anderes konnte der Schamane nicht von ihnen verlangen.
    Er öffnete die Augen und zuckte zusammen. Vor ihm hockte Wantapari und sah ihn an.
    »Ich möchte mit dir reden, Schamane«, sagte er ernst.
    ***
    Australien 1794:
    Thomas Watling strich das beigefarbene Papier seines Zeichenblocks vorsichtig glatt. Dann nahm er mit einer übertrieben feierlichen Geste einen Kohlestift in die Hand. Mehr als zwei Dutzend Augen beobachteten ihn dabei.
    Dem Fälscher war nicht entgangen, dass viele der jungen Krieger fehlten.
    Das Lager der Eora, das er seit Monaten immer wieder aufsuchte, war so leer wie bei manchen Jagdzügen des Stammes.
    Seltsam, dachte er und hoffte, dass sie sich nicht darauf vorbereiteten, weiterzuziehen. Watling hatte bisher vergeblich versucht, von den Nomaden zu erfahren, in welchen Rhythmen sie ihre Lagerstätten wechselten, aber entweder verstanden sie die Frage nicht oder sie wollten nicht antworten. Selbst der Schamane, der neben einem der Krieger seine Sprache am besten verstand, hatte ihn nur verständnislos angesehen. Watling vermutete, dass die Eora ein anderes Verständnis von Zeit hatten und mit der Frage, egal, wie er sie formulierte, nichts anfangen konnten. Dabei war diese

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