0679 - Der Schrecken von Botany Bay
trinken, da sie keine Beine hätten, mit denen sie sich zum Wasser bücken konnten. Und sie seien auch hungrig, hätten jedoch keine Hände, um Nahrung zu sammeln und keine Augen, um Beute zu erspähen. Willanjee fragte die Lehmwesen, was sie tun würden, wenn sie all dies besäßen. Die Wesen dachten lange über seine Frage nach. Zweimal ging die Sonne über ihnen auf und dreimal versank der Mond hinter den Bergen. Dann sagten sie: ›Wenn wir Augen hätten, würden wir die Schönheit des Landes und all seiner Kreaturen betrachten. Mit unseren Händen würden wir die Tiere des Landes an den heiligen Orten aufmalen, um die Geister zu besänftigen und ihnen Respekt zu zollen. Die Beine würden uns über das Land tragen, das wir auf den ewigen Pfaden durchwandern werden, damit wir in Harmonie mit allen Kreaturen leben können. Mit dem Mund schließlich würden wir die Geschichte um unsere Entstehung weitererzählen und dich, Willanjee, auf ewig in unserer Erinnerung behalten.‹ Dem Eidechsenmann gefielen die Worte dér Lehmformen, und so erfüllte er ihre Wünsche und gab einem jeden von ihnen einen Geist.«
Gulajahli trat einen Schritt von den Felszeichnungen zurück. »Und deshalb tötet kein Mensch vom Stamm der Eora jemals eine Eidechse«, beendete er seine Geschichte.
Er kauerte sich auf den Boden und sah zu Zamorra auf. Der Dämonenjäger setzte sich ebenfalls, wählte aber eine für ihn bequemere Haltung.
Gulajahli schien darauf zu warten, dass Zamorra etwas sagte. Aber der dachte noch über die Geschichte nach.
»Aber manchmal helfen uns die Eidechsen bei etwas anderem«, sagte der Schamane schließlich.
»Wobei?«
Gulajahli begann wieder zu erzählen.
»Einst gab es ein starkes, streitsüchtiges Süßwasserkrokodil, das Kenna hieß und die Gestalt eines Menschen hatte. Es schikanierte die Menschen. Deshalb holten sie ein Salzwasserkrokodil in Menschengestalt namens Pikko, das Kenna entgegentreten sollte. Aber der böse Pikko stieß Kenna einen Speer in die Seite. Danach trug man den Verwundeten zum Fluß und sang ein Lied. Sobald sie den verwundeten Mann ins Wasser legten, verwandelte er sich in ein Krokodil und schwamm davon. Da wählten die Menschen eine Person als Bruder aus, die ihr zukünftiger Führer werden sollte. Sie nahmen eine Eidechse und verwandelten sie in ein Krokodil und banden es auf einen kleinen Ast. Der Auserwählte mußte etwas von seinem Blut lassen, das man dem Eidechsenkrokodil zum Trinken einflößte. Dann warf man sie ins Meer. So wurde der Auserwählte zum Blutsbruder des Krokodils. Kein Krokodil wird ihm daher noch jemals etwas antun, sondern ihn und die ihm angehörigen Menschen vor anderen Krokodilen schützen. Seither ist nichts darüber bekannt, dass jemals der Blutsbruder von einem Krokodil geschnappt worden ist.«
Gulajahli machte eine Pause.
Zamorra betrachtete ihn nachdenklich. Er spürte, dass der Schamane fest an das glaubte, was er erzählte. Auch daran, dass Menschen eine Eidechse in ein Krokodil verwandeln konnten.
»Ich will dir noch eine Geschichte erzählen«, fuhr der Schamane fort.
»Einst geschah es, dass Umwala, der Krebsmann, Mulara, der Fledermausmann, und Kanaula, der Regenbogenmann, einen besonders großen Fischzug machten. Auf dem Heimweg zu ihrem Lager luden sie all ihre Freunde zu einem Corroborree ein, das bei Sonnenuntergang beginnen sollte. Sie wollten ihr Angelglück feiern. Umwala wollte singen, Mulara führte die Tänzer, und Kanaula blies die Didjeridoo, die hölzerne Langflöte. Aber viel mehr Freunde, als sie gedacht hatten, kamen zu dem Treffen, um den Fisch mit ihnen zu teilen und an den Tänzen teilzunehmen. So dauerte das Corroborree sehr lange, bis spät in die Nacht, und alle Teilnehmer hatten ihren Spaß daran und wollten einfach nicht müde werden. Nach etlichen Stunden wurde Kanaula, der ein reizbarer, jähzorniger alter Bursche ist, müde von dem fortwährenden Didjeridoo-Spiel. Wie er so grübelte, wie das Corroborree zum Ende gebracht werden könnte, kam ihm die Idee, die Fackel auszulöschen, indem er mit ihr ins Wasser sprang, denn ohne Licht würden die Leute das Treffen wohl bald verlassen. Umwala, durch seinen Gesang hellwach, bemerkte Kanaulas Tun im gleichen Moment, schnappte sich einen Speer und warf ihn in Kanaulas Richtung. Der Speer fand seinen Weg in Kanaulas Handgelenk. Für ein paar Sekunden wurde dessen Hand dadurch über Wasser gehalten, lange genug für Mulara, der ebenfalls aufgesprungen war, um die Fackel
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