068 - Der Vampir und die Taenzerin
gehen.“
Eleanor bedankte sich noch für den Besuch, und Diana wünschte ihr gute Besserung. Dann fuhr sie mit Stefan zurück nach Collinwood. Trübe Gedanken quälten sie. Sehr beruhigt hatte Elanors Erklärung sie nicht, und schon gar nicht deren offensichtliche Schwäche für Barnabas. Alles war noch genauso mysteriös wie zuvor. Mit Sicherheit wußte sie nun nur, daß der Mann, den sie liebte, mit Eleanor spazieren gewesen war. Es tat weh, selbst wenn Barnabas nichts weiter als Sympathie für das bildhübsche dunkelhaarige Mädchen empfand.
Die Nachmittagsprobe erwies sich wieder als äußerst anstrengend. Die Atmosphäre war bedrückend. Fast greifbar hing der Haß zwischen Peter und Alex in der Luft. Mavis war die einzige, deren Nerven offensichtlich nicht strapaziert waren. Sie flirtete unbekümmert mit Alex, während ihr Mann mit verbissener Miene zusah.
In einer der kurzen Pausen traf Diana Stefan vor der Tür, beide hatten das Bedürfnis nach frischer Luft ins Freie getrieben.
„Ich könnte Mavis den Hals umdrehen“, meinte Stefan wütend. „Wenn sie sich weiter so benimmt, wird es zu einer furchtbaren Auseinandersetzung zwischen Peter und Alex kommen. Und das wäre das Ende meines Balletts.“
Krampfhaft scherzend, sagte Diana: „Vergessen Sie nicht, daß eine tote Hauptdarstellerin auch nicht gerade förderlich für Ihr Ballett wäre.“
„Mavis würde nicht fehlen. Sie studieren doch ihre Rolle ein. Ich wette, nach einigen Proben wären Sie besser als sie.“
„Oh, ich bin recht zufrieden mit meiner eigenen Rolle. Wegen mir brauchen Sie Mavis also nicht umzubringen“, versuchte Diana immer noch zu scherzen, um Stefan aus seiner Verkrampfung zu bringen.
Kurz darauf ging die Probe weiter. Diana tanzte ihre abschließende Szene im zweiten Akt und war froh, gleich danach wieder ins Freie zu kommen. Stefan saß noch am Klavier und spielte hingebungsvoll die fröhliche Walzermelodie. Diana war sich bewußt, wieviel das Ballett dem jungen Komponisten bedeutete, und zweifelte nicht daran, daß er jedes Hindernis bedenkenlos aus dem Weg räumen würde – selbst wenn seine eigene Schwester dieses Hindernis wäre.
In Gedanken versunken wanderte das Mädchen an der Kapelle entlang und kam zum alten Friedhof. Da sie nun schon da war, wollte sie nachsehen, ob Mrs. Stoddard bereits dafür gesorgt hatte, daß Marios Grab wieder zugeschüttet wurde. Ein unheimliches Gefühl ergriff sie, als sie die zerfallene Eingangspforte durchschritt – ein Ahnen drohender Gefahr. Trotzdem zwang sie sich weiterzugehen. Des Seemanns Grab war ordentlich aufgefüllt. Trotzdem wuchs die Panik in ihr. Verzweifelt kämpfte sie dagegen an und fragte sich selbst, warum sie nicht einfach umkehrte. Irgend etwas drängte sie jedoch weiterzugehen. Sie glaubte sich von einer Geisterhand zu einem bestimmten Grab dirigiert. Sie hatte keinen Zweifel mehr zu welchem, als ihre Füße ohne ihr Zutun vor einem neuaufgeschütteten Hügel anhielten. Ein Blick auf den Grabstein genügte – es war die letzte Ruhestätte Abel Collins, Anyas Vater!
Entsetzen schüttelte sie und wurde zum unerträglichen Grauen: tief in der Grube, weiß gegen den Hintergrund der dunklen Erde, grinste ein Totenschädel sie an. Sie wollte schreien, aber ihre Zunge war ebenso gelähmt wie ihre Beine.
Wie durch Watte hindurch, vernahm sie eine nasale Männerstimme. „Kein schöner Anblick, Miß!“ Erschrocken fuhr sie herum und erblickte einen untersetzten Mann mittleren Alters im grauen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte. Er trug einen von Sonne und Alter gebleichten Hut, unter dem sie ein faltiges, gebräuntes Gesicht aufmerksam betrachtete.
„Wer – wer sind Sie?“ brachte sie stockend hervor.
„Haig. Chef der Ellsworther Polizei. Ich dachte mir, es würde nicht schaden, wenn ich mir selbst einen Eindruck von dem geschändeten Grab verschaffte.“
„Aber das war gestern noch gar nicht aufgebrochen“, sagte sie benommen.
„Stimmt“, bestätigte er. „Ich nehme an, Sie sind die junge Dame, die auch das andere offene Grab fand.“
„Ja.“
Er musterte sie nachdenklich. „Seltsam. Sehr seltsam. Sie haben wohl eine Vorliebe für Friedhöfe?“
Erschrocken wehrte sie ab.
„Na ja, ich meine nur, weil Sie offenbar immer als erste diese geschändeten Gräber finden.“
Sie fühlte, daß sie ihm eine Erklärung schuldete. „Ich habe gehört, was man über Anya und Mario erzählt und …“
„Ich verstehe. Man könnte
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