0683 - Die Verdammten der Nacht
Schritte, dachte Jane. Himmel, wie sich das anhörte.
Das war ja so, als brauchte sie nur mehr die Sekunden zu zählen, um in ihr eigenes Grab steigen zu können.
Die letzten Schritte, die letzte Mahlzeit, die letzte Zigarette – alles hörte sich so schrecklich endgültig an, und sie schauderte plötzlich, als sie näher darüber nachdachte.
Der Dunst hüllte sie ein. Er war wie ein helles, gefährliches Gespinst, das allein seinen Willen und seine Wünsche formulierte. Er war einfach da, es war schlimm, er drückte, und er drängte sich auch in die Lücken am Waldrand.
Ein Pfad, der seinen Namen kaum verdiente, tat sich vor ihnen auf. Er führte wie ein Kanal in die Tiefe, und Brenda erwartete sie lächelnd am Beginn des schmalen Weges.
»Es sind nur zwei Schritte, Jane…«
»Natürlich.« Sie holte tief Atem. Den Geruch schmeckte sie längst im Hals. Er kam ihr so bitter vor.
Dann ging sie.
Der Wald war da, er war sie, sie war er. Sie war ein Teil von ihm geworden, ein Puzzle im Mosaik der Natur, und sie fühlte sich nicht schlecht dabei.
Welch wahnsinnige Geräusche sie umgaben! Laute, die Jane nie zuvor in ihrem Leben in dieser Konzentration gehört hatte.
Da war ein Raunen, ein Singen, ein Flüstern, ein geheimnisvolles Rascheln, obwohl sie nicht einmal schattenhafte Umrisse erkennen konnte. Diejenigen, die diese Geräusche produzierten, hatten sich zurückgezogen oder lauerten im Unsichtbaren, wo sie zwar sehen konnten, aber nicht gesehen wurden.
Der Wald war gefüllt mit einem anderen, fremden, unheimlichen Leben, und Jane Collins fragte sich, ob es die Verdammten der Nacht waren, die sich so benahmen.
Natürlich dachte sie auch an einen Rückweg. Sich umdrehen, verschwinden, eintauchen in das Gespinst aus Dunst und Unterholz.
John Sinclair warnen, ihm erklären, welch eine Welt sich hier mitten in London auftat. Sie beschäftigte sich intensiv mit diesem Gedanken, aber sie wußte gleichzeitig, daß es keinen Sinn hatte. Diese andere Welt, dieser Wald hatte sie einmal geschluckt.
Das Sonnenlicht schwebte über der dunklen Insel. Es drang kaum durch den Nebel. Wenn Jane den Kopf hob, um gegen die Kronen der Bäume zu schauen, sah sie nur den weißen, breiten Fleck darüber, der sich dort verteilte.
Ansonsten bekam sie von der Außenwelt so gut wie nichts mit. Sie und Brenda bewegten sich durch eine geschlossene Einheit.
Der Boden war glatt und grün. Dicht wie ein Teppich wuchs das Gras, und die meisten Bäume traten zurück. Für Jane sah es so aus, als wären sie der Reihe nach ausradiert worden. Ihr Blick verlor sich in einer Weite, die ihr unbegreiflich vorkam.
Plötzlich konnte sie auch den Himmel wieder erkennen. Ihr war klar, daß sie eine Grenze überschritten hatte, eine weitere Grenze.
Jetzt führte sie der Weg in einen anderen Teil.
Sie blieb stehen. Brenda hatte nichts dagegen. Sie schaute sich um, lächelte.
Jane ärgerte sich über ihre eigene Unsicherheit. »Meine Güte«, sagte sie, »das ist doch…«
»Was ist das?«
»Kannst du es mir erklären? Was ist das für ein Land? Wo ist der Wald geblieben?«
Brenda hob die Schultern. »Die Verdammten der Nacht«, sagte sie leise. »Hier ist ihr Land. Wir befinden uns bei ihnen, und du wirst sie sicherlich gleich sehen können.«
Jane deutete nach vorn. Über einer grünen, langgestreckten Wiese lagen dünne Dunstschleier. Im Hintergrund erhoben sich braune, karstige Berge. Die Welt um sie herum empfand sie als angenehm, sie war auf irgendeine Art und Weise wunderbar, aber sie ließ sich nicht erklären. Nicht von ihr.
»Ist hier dein Sohn?«
Brenda tat so, als hätte sie die Frage nicht gehört. Sie schaute gegen den Himmel, den Blick träumerisch verhangen. »Es ist ein wunderschönes Reich, auch wenn es zu den Verdammten der Nacht gehört. Es hat seine eigenen Gesetze, die ich befolgen werde.«
»Inwiefern?«
Brenda nickte Jane zu. »Du wirst es gleich sehen, meine Liebe. Keine Sorge…«
Jane hatte schon immer daran gedacht, daß es Brenda nicht gefiel, in normaler Kleidung umherzulaufen. Ohne ein Wort der Erklärung abzugeben, fing sie damit an, sich auszuziehen…
***
Wir hatten den Tag über zwar nicht gegammelt, waren aus dem Büro allerdings auch nicht herausgekommen, wo es noch zahlreiche Dinge gab, die erledigt werden mußten.
Schreibtischarbeit, Dinge, über die man Witze machen konnte, die zu einem Beamten paßten.
Daran mußten Suko und ich auch oft genug denken. Wir hatten uns gegenseitig mit Witzen
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