0683 - Die Verdammten der Nacht
Es war gemein, hinterlistig und auch böse. Ich habe es schon damals als einen Unterschlupf angesehen. Einen Fluchtpunkt für das Grauen, über das Menschen nicht sprechen. Kannst du dir denn nicht vorstellen, daß es gefährliche Dinge gibt, über die man nur flüsternd spricht, die niemand glauben will, die trotzdem vorhanden sind. Oder reichen deine Phantasie und dein Wissen nicht aus?«
»Ich weiß es nicht, Brenda. Verstehe, daß die Dinge für mich ein wenig überraschend gekommen sind.«
»Ja, das begreife ich. Aber ich bin auch davon überzeugt, daß sich deine Augen sehr bald öffnen werden. Ich mag dich, Jane. Ich habe dich schon gestern gemocht, als wir uns zum erstenmal begegneten. Du bist mir schon in der kurzen Zeit so etwas wie eine gute Freundin geworden. Ist dir das recht, wenn ich so spreche?«
»Besser so, als eine Feindin.«
»Nein, das darfst du nicht denken.« Sie lächelte Jane an und nickte zugleich. »Komm, wir wollen keine Zeit mehr verlieren. Laß uns endlich weitergehen.«
Und sie gingen weiter.
Jeder Schritt brachte sie näher an das Ziel heran, und jeder Schritt türmte auch die Sorge in Jane Collins hoch. Sie war mit Brenda nicht einer Meinung, daß diese andere Welt, die trotzdem aus einem völlig normalen Waldstück bestand, unbedingt eine Alternative bot. Sie sah aus wie ein großer dunkler Fleck oder wie ein schwerer Bauch, in dessen Innern es atmete, der verdaute, der ausstieß, der sich quälte, der arbeitete und ächzte.
Brenda Evans hatte von gewissen Strömungen gesprochen, die Menschen davon abgehalten hatte, dieses Gebiet zu betreten. Jane merkte, daß Brenda nicht gelogen hatte. Auch sie überkam ein ungutes Gefühl, denn sie merkte, daß sich dort etwas tat.
Der seltsame Wald lag zwar ruhig unter dem Dunstschleier, aber sie glaubte nicht, daß er tot oder abgestorben war. Außerdem mußte sie auf den Weg achtgeben. Überall schauten Steine hervor, wuchsen Hindernisse hoch oder waren Abfälle nur notdürftig zugekarrt worden. Dieses Gelände paßte in seiner Art einfach nicht zu den schmucken, neuen Häusern mit den Eigentumswohnungen. Das war so, als hätte man bewußt etwas vergessen.
»Worüber denkst du nach, Jane?«
Sie hob die Schultern. »Über viele Dinge, die mir rätselhaft erscheinen, Brenda.«
»Das kann ich verstehen. Ich habe sogar gelernt, daß die ganze Welt ein Rätsel ist.«
»Dann sind wir uns einig. Lehre du mich die Welt und die Menschen kennen. Die Überraschungen reißen einfach nicht ab.«
»So ist es.«
Sie gingen weiter, und Jane warf einen Blick zurück. Sie erschrak.
Zwar sah sie nur die Rückfront des Hauses, auch die Loggias, aber all dieses wirkte so, als hätte man ihr einen verschwommenen, schlecht belichteten Film gezeigt.
Ihre Unruhe wuchs, und sie schüttelte den Kopf, was Brenda natürlich auffiel. »Ich habe es dir gesagt, Jane. Dir wird es vorkommen, als kämen wir in eine andere Welt.«
»Das stimmt tatsächlich.«
»Sie ist anders…«
»Auch gefährlich?«
Brenda hob die Schultern, ging weiter, und Jane wußte nun, daß sie sich bewußt einer Antwort enthalten hatte. Da war etwas faul, sehr faul sogar, aber Jane fand noch keine Verbindung zwischen der in Dunst getauchten Welt und…
Sie blieb plötzlich stehen, was Brenda verwunderte. »Was ist in dich gefahren, Jane?«
»Ist diese Welt real, oder werden wir eine andere Dimension betreten?«
»Nein!«
»Beweise es mir!«
Brenda verdrehte die Augen. »Okay, Jane, wie du willst. Ich tue ja alles für dich. Ich werde dir auch den Beweis liefern, das ist mehr als simpel.« Sie schaute sich um, hatte etwas entdeckt und bückte sich danach. Jane sah, daß sie mit der rechten Hand einen babykopfgroßen Stein umklammert hielt. »Gib acht, Jane, ich werde ihn jetzt werfen. Der Wald ist nicht mehr weit entfernt.«
Sie holte weit aus, denn sie benötigte trotzdem noch Kraft. Der Stein jagte aus ihrer Hand, zerschnitt den Dunst, beschrieb noch einen Bogen – und landete im Ziel.
Jane hörte die knackenden Geräusche, als der schwere Gegenstand das Unterholz durchbrach.
Brenda drehte sich wieder um. Auf den Lippen lag ein triumphierendes Lächeln. »Nun? Habe ich dir bewiesen, daß diese Welt nicht so ist, wie du angenommen hast.«
»Stimmt.«
»Und was willst du tun? Brauchst du noch einen zweiten Beweis?«
»Nein, laß uns weitergehen. Ich will diesen Wald durchqueren und die Verdammten der Nacht spüren.«
»Keine Sorge!« flüsterte Brenda Evans. »Du bekommst
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