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0683 - Monster aus dem Schlaf

0683 - Monster aus dem Schlaf

Titel: 0683 - Monster aus dem Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Sozialisten waren, die von einer Ausrottung des Arbeitertums sprachen, oder die Konservativen, die endlich härtere Maßnahmen im East End durchsetzen wollten. Alle hatten etwas zu den Morden zu sagen und waren sich nur einig in ihrem Zynismus gegenüber den Ermittlungsarbeiten der Polizei.
    Wenn man den Zeitungen glauben wollte, verbrachten die Polizisten den ganzen Tag in ihren Lieblingskneipen und kamen nur ins East End, um die Leichen einzusammeln, die der Ripper hinterließ.
    Sir Henry wusste, dass das nicht stimmte. Obwohl man die Bewohner des East Ends normalerweise mit ihren Problemen allein ließ, schaute jetzt ganz England auf dieses Stadtviertel. Der Ripper war zu einem politischen Fall geworden.
    Das Geräusch mehrerer Kutschen drang durch den Nebel. Die Verstärkung kam.
    Der ältere Polizist spuckte aus, als könne er so die Alkoholfahne loswerden, während sein jüngerer Kollege an seiner Uniform zupfte.
    Henry verabschiedete sich hastig von den beiden und zog sich zurück. Er wollte nicht, dass er von Polizisten gesehen wurde, die ihn möglicherweise als Zuschauer bei den beiden anderen Tatorten wiedererkannten. Der Druck, unter dem die Polizei stand, war mittlerweile so hoch, dass sie ihn garantiert als Verdächtigen präsentiert hätten.
    Nachdenklich ging Henry durch die Straßen. Er fragte sich, warum der Mörder von seinem normalen Modus Operandi abgewichen war. Seine beiden ersten Opfer waren mit durchgeschnittener Kehle und furchtbar verstümmelt aufgefunden worden. Dieses Mal hatte er sich jedoch mit dem Tod der Frau zufrieden gegeben. Das war merkwürdig und passte nicht zu dem Bild, dass Henry sich von dem Mörder gemacht hatte.
    Die Polizei war sich nach den ersten beiden Morden sicher, dass der Mörder über gute anatomische Kenntnisse verfüge, was in den Zeitungen zu der Behauptung ausgeschlachtet wurde, der Ripper sei wahrscheinlich ein Arzt.
    Henry wusste, dass das Unsinn war, denn auch ein Metzger verfügte über anatomische Kenntnisse ebenso wie zahlreiche andere Berufsgruppen. Ihm selbst ging es auch weniger um die Identität des Mörders, als um den Grund, aus dem er mordete. Wegen eines gewöhnlichen Mörders hätte der Lao Shi seinen besten Schüler bestimmt nicht in diese Gegend geschickt. Es musste also mehr als der Tod einiger Prostituierter auf dem Spiel stehen, aber was?
    Das schrille Trillern einer Polizeipfeife ließ ihn zusammenzucken. Irgendwo forderte ein Polizist Unterstützung.
    Henry wollte weitergehen. Polizeipfeifen waren in dieser Gegend keine Seltenheit. Er selbst war bei seiner Suche schon oft ihrem Klang gefolgt, nur um am Ursprung auf einen Einbrecher oder betrunkenen Randalierer zu stoßen.
    Trotzdem blieb der Adelige stehen. Da war etwas am Klang der Pfeife, an der Art, wie ihr Träger sie nur abzusetzen schien, um Luft zu holen und dann erneut mit aller Macht hineinblies. Es klang fast schon verzweifelt…
    Sir Henry rannte los.
    Sein schwarzes Cape blähte sich im Wind auf wie die Flügel eines großen dunklen Vogels. Mit den Händen wob er einen schnellen Zauber, der ihm den Weg des Klangs in einer graden Linie zeigte.
    Mehr als fünfzehn Minuten brauchte er dennoch, um sein Ziel zu erreichen, denn die Gassen und Straßen verliefen im Gegensatz zur Klanglinie nicht immer gerade, sondern forderten ihm viele Umwege ab.
    Atemlos blieb Henry auf einem kleinen Platz namens Mitre Square stehen. Er sah einen Polizisten, der mit bleichem Gesicht an einer Straßenlampe lehnte und nur noch schwach in die Pfeife blies, die um seinen Hals hing. Er hatte sich neben der Lampe übergeben. In ihrem Licht konnte Henry sehen, warum er das getan hatte.
    Das Opfer lag nur wenige Meter hinter dem Polizisten. Es war bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
    Henry spürte einen bitteren Geschmack auf der Zunge, zwang sich aber trotzdem, die Leiche genauer zu betrachten.
    Es konnte keinen Zweifel geben. Der Ripper hatte erneut zugeschlagen, zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden. Er musste beim ersten Opfer gestört worden sein, bevor er sein schreckliches Werk vollendet hatte, und war von Mordlust getrieben durch die Straßen geirrt, bis er ein zweites Opfer entdeckt hatte.
    Was für ein Monster…
    Sir Henry fielen die Worte des älteren Polizisten ein:
    Es wird ein kalter Herbst und ein noch kälterer Winter.
    ***
    Gegenwart
    Es ist nicht real, dachte Zamorra, als der Schwanz des Ungeheuers durch die Stahlträger glitt, ohne sie zu beschädigen. Das ist nur ein Trugbild.
    Er

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