0688 - Der Kult
und Scheren zugleich. Und sie stachen zu.
Da platzte plötzlich die Scheibe weg. Wir sahen nur mehr Krümel. Eine breite Scheibe, auch breit genug für zwei Scheren, die von verschiedenen Seiten durchstechen konnten.
Und sie taten es.
Plötzlich war aus dem zweidimensionalen Schatten eine dreidimensionale Bedrohung geworden, die nur eines wollte.
Killen!
Uns umbringen.
Suko hatte es besser als ich. Er war losgeschnallt. Ich mußte das erst noch hinter mich bringen. Er rammte die Tür auf, als mein Gurt erst hochglitt.
Die Schere rammte durch. Sie war da, sie war ein Instrument des Bösen, ein grausames Werkzeug und kein Schatten mehr. Ihre beiden Arme waren weit gespreizt, damit sie gewährleisteten, ein großes Ziel zu treffen.
Ich war trotzdem schneller. Sie rammten in die Rückenlehne und hatten zuvor noch Lack vom Lenkrad gekratzt, als sie es durch den Schwung berührten.
Ich stand zwischen meinem und auch dem Truck eingeklemmt und hatte für einen Moment Zeit, die Schere zu beobachten. Sie war kein Schatten mehr, aber sie löste sich zu einem Schatten auf, als sie das Polster verließ und wieder durch die Scheibe verschwand.
»Hast du sie?«
Suko schrie von der anderen Seite. Er rollte über die Motorhaube hinweg und sah mich, als ich die Arme ausbreitete. Neben mir öffnete der Truckfahrer die Tür. Er hätte sie mir beinahe noch gegen das Gesicht gerammt.
»Seid ihr verrückt?« brüllte er.
Ich zeigte ihm meinen Ausweis. Nur für einen Moment hielt ich ihn hoch, was ihm reichte.
Er zog sich wieder zurück.
»Sie ist weg!« sagte ich.
Suko stand jetzt neben dem linken Rad des Trucks. »Ja, das sehe ich. Sie hat sich…« Er drehte sich um.
Die Sonne schien. Schatten waren vorhanden, jeder Wagen warf einen, aber keiner wanderte oder besaß nur entfernt die Form dieses brutalen Killers. Es war ihm tatsächlich gelungen, uns zu narren.
Auch den anderen Fahrern waren unsere hektischen Aktivitäten aufgefallen. Wieder einmal erlebten wir, wie neugierig Menschen sein können. Ablenkung im Stau.
Gemeinsam schlugen Suko und ich die Glaskrümel aus der Scheibe. Sie fielen wie harte Schneeflocken nach innen.
Natürlich wollte man wissen, was geschehen war. Die Frager bekamen keine Antwort. Während Suko seinen Sitz reinigte, schaute ich mir den des Fahrers genauer an.
Mein Herz klopfte schon schneller, als ich erkannte, wie tief die beiden Scherenstäbe in das Polster hineingedrungen waren. Die hatten es sogar an der Rückseite aufgeschlitzt. Bei einem Treffer hätten sie meinen Körper glatt durchbohrt.
Suko fragte: »Fahren wir weiter?«
»Nach dem Stau.«
»Da will jemand nicht, daß wir ihm auf den Fersen bleiben, John. Hält er uns für so gut?«
»Anscheinend.«
»Das wundert mich.«
»Warum?«
»Wir kennen ihn nicht.« Er zog die Tür zu, während ich dabei war, den Sitz von den Glaskrümeln zu befreien. »Wir haben nie etwas mit ihm zu tun gehabt und trotzdem will er uns aus dem Weg räumen, als wären wir ihm sehr nahe gekommen.«
»Das sind wir möglicherweise auch.«
Mein Freund hob die Schultern und schaute gegen die Rückfront eines Aston Martin. »Ich weiß nicht so recht, John. Ich weiß in diesem Fall gar nichts mehr. Ziegenhaut«, sagte er und lachte dabei auf. »Hast du das Gefühl gehabt, die Schere bestünde aus Ziegenhaut?«
»Eigentlich nicht.«
»Und doch muß es so sein«, sprach Suko leise. Er lächelte und winkte zwei Kindern zu, die unseren Rover anstarrten, als käme er direkt vom Mond. »Hier jedenfalls wird mit Karten gespielt, die wir beide noch nicht kennen. Ich kann mir auch vorstellen, daß die Kulanis nicht begeistert sind, wenn sie von uns Besuch bekommen. Das scheinen mir eher Menschen zu sein, die lieber alles allein in Ordnung bringen, sich aber hierbei übernommen haben. Wie denkst du darüber?«
»Ebenso.«
»Das freut mich.«
Der Stau löste sich auf. Die Fahrer stiegen wieder in ihre Autos. Motoren sprangen an, Auspuffwolken verpesteten die Luft.
Auch für uns.
Wobei ich die Vermutung nicht los wurde, daß unser Weg in eine Hölle führte…
***
Sie hatten zwei Wände herausgerissen und einen ziemlich großen Raum geschaffen, wo sich die Familie versammeln konnte. Hier lebte man, hier redete man miteinander, hier war ein Stück Heimat inmitten von London. Selbst die Möblierung glich sich der Insel an. Man saß auf Bastmatten, speiste von kleinen Tischen, und die Mahlzeiten wurden auf einem Gasherd zubereitet, über dem große Töpfe,
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