0691 - Schwester der Nacht
Lungen.
»Hier im Viertel lassen sich die Flics kaum sehen. Haben Angst vor uns, kapierst du?«
Die Dämonenjägerin nickte. Außerdem hatten die Beamten gezielt nach Zamorra gesucht. Es gab nur eine Möglichkeit. Jemand hatte den Parapsychologen als angeblichen Anarchisten und Kaiser-Attentäter angeschwärzt.
Es gab nur eine Person, die dafür in Frage kam.
Vivien Lafayette.
Nicole schnippte mit den Fingern. Wenn sie Zamorra jetzt helfen wollte, musste sie noch jemanden in die geplante Vampirverschwörung einweihen.
Den Kaiser Napoleon III.
»Könnt ihr mich zum Kaiserlichen Hof begleiten?«, fragte sie die beiden Pigalle-Ganoven.
***
Zamorras Handgelenke waren mit einer schweren Kette gefesselt.
Der Parapsychologe saß auf einem harten Stuhl in einem hohen schmalen Raum. Das Dienstzimmer von Commissaire Solleville war mit schweren dunklen Eichenmöbeln eingerichtet.
Hinter dem Polizeioffizier hing ein Gemälde an der Wand, das den Kaiser darstellte. In einer Ecke hing die französische Trikolore. Der Commissaire saß stocksteif hinter seinem Schreibtisch und starrte Zamorra durch sein Monokel an. Der steife Kragen des Beamten war so hoch, dass er den Kopf wahrscheinlich gar nicht senken konnte.
Vorsichtig begann Zamorra damit, sein Gegenüber telepathisch zu sondieren.
Der Commissaire empfand nichts anderes als nackte Wut über diesen Mann, der vor ihm saß. Der Beamte hielt Zamorra wirklich für einen skrupellosen Umstürzler, der den Kaiser ermorden und die ganze Nation in Chaos und Anarchie stürzen wollte.
Das konnte ja heiter werden…
»Wer sind deine Mitverschwörer, du Lumpenkerl?«
Commissaire Sollevilles Worte prasselten wie Eisregen gegen eine Fensterscheibe.
»Ich habe keine Mitverschwörer, weil ich kein Verschwörer bin«, sagte Zamorra ruhig. »Ich habe noch nicht mal eine Waffe.«
Der Polizeioffizier ging nicht darauf ein.
»Was wolltest du in der Spelunke an der Place Pigalle?«
»Das ist eine Privatangelegenheit.«
Zamorra würde dem Commissaire gewiss nicht auf die Nase binden, dass er einen weiblichen Vampir jagte.
Sollevilles Gesicht verzog sich zu einem ironischen Grinsen.
»Hast dir eine Hure gesucht, wie?«
»Ich sagte schon, es ist eine Privatangelegenheit. Das geht Euch nichts an.«
Der Beamte schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Auch noch frech werden! Wie heißt du überhaupt?«
»Zamorra. Professor Zamorra.«
»Ein richtiger Professor«, knurrte der Polizeioffizier gefährlich leise. »Na, viele von euch Umstürzlern kommen ja von der Universität. Aber die Pariser Polizei ist trotzdem tausend Mal schlauer als ihr.«
Der Dämonenjäger verkniff sich einen Kommentar. In diesem Moment war die Pariser Polizei gerade dabei, der Vampir-Verschwörung in die Hände zu arbeiten. Ob wissentlich oder unwissentlich.
Für einen Moment lastete Schweigen auf dem Dienstzimmer. Solleville ließ Kaffee bringen. Zamorra nahm eine Tasse entgegen. Bevor der Kellner in der Kaschemme den Kaffee hatte bringen können, war Zamorra von den Flics abgeführt worden.
Der Parapsychologe trank genussvoll die heiße und starke Flüssigkeit.
»Ich will jetzt endlich die Wahrheit hören«, schnarrte der Commissaire.
Zamorra tastete die Gedanken des Beamten ab. Er versuchte herauszufinden, ob der Polizeioffizier gemeinsame Sache mit den Vampiren machte. Der Parapsychologe konnte keinen Hinweis finden. Das musste allerdings nichts bedeuten. Seine telepathischen Fähigkeiten waren nur schwach ausgebildet.
Darum blieb er lieber vorsichtig.
»Ich weiß nicht, was Ihr von mir wollt«, beteuerte er. »Ich war heute Morgen an der Place Pigalle, um mich ein wenig zu amüsieren. Das geht die Polizei nichts an, denke ich. Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen. Anarchisten oder andere Umstürzler zählen nicht zu meinen Freunden. - Wer behauptet eigentlich, dass ich den Kaiser töten wollte?«
Der Commissaire ließ die Frage offen, was Zamorra entlarvend genug fand. Stattdessen klingelte Solleville wieder nach den Wachen.
»Bringt diesen verstockten Verbrecher in eine Arrestzelle. Er wird schon noch reden. Früher oder später redet jeder.«
Die beiden Flics schafften den gefesselten Zamorra hinaus. Über steile Treppen ging es in den Keller des Präsidiums. Sie warfen den Dämonenjäger in ein Verlies. Knallten die Tür hinter ihm zu und legten einen Riegel vor.
Durch das schulheftgroße Fenster drang nur wenig Licht in den Kerker. Der kleine Raum bestand nur aus vier
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