0691 - Schwester der Nacht
Narrenfreiheit gelassen hatte. Die Geschichtsbücher hatten also nicht gelogen.
Der Ganove, der auf Nicole scharf war, stellte sich als Jacques vor. Sein Freund nannte sich Petit, der Kleine. Sie warfen Nicole und Zamorra heimtückische Blicke zu. Aber für den Moment waren sie gezähmt.
»Wo habt Ihr es gelernt, so zu kämpfen?«, fragte Jacques neidisch.
»Darüber reden wir später.« Zamorra drängte sich an einigen halb nackten Can-Can-Tänzerinnen vorbei, die in der blaugerauchten Kaschemme ihren Feierabend genossen.
Der Dämonenjäger bugsierte die Apachen an einen kleinen Ecktisch. Er und Nicole setzten sich so hin, dass die Ganoven nicht an ihnen vorbei konnten.
Ein Kellner kam. Unter seinem schmalen Schnurrbart wippte eine Zigarette im Mundwinkel.
»Absinth?«
»Kaffee für alle!«, forderte Zamorra. »Und zwar extrastark!«
Nachdem der Ober davongeschlurft war, packte der Parapsychologe Jacques am Revers.
»Und nun wollen wir alles über Vivien Lafayette hören.«
Der Apache hatte bereits einen Teil seiner Selbstsicherheit zurückgewonnen. Mit der linken Hand fingerte er eine zerdrückte Zigarette aus seiner Jacke. Der rechte Arm war immer noch nicht zu gebrauchen.
»Lafayette, Lafayette… ein sehr häufiger Name. Da muss ich aber scharf nachdenken, Monsieur. Und vom Grübeln tut mir immer mächtig der Schädel weh.«
Der Parapsychologe wusste, wie man mit Jacques und seinesgleichen umgehen musste. Er schob ein paar Goldfrancs über den schmutzstarrenden Tisch.
»Da hast du ein Schmerzensgeld!«
Der Apache grinste wieder gewinnend und ließ das Geld in seiner Hosentasche verschwinden.
»Eine Vivien Lafayette ist vor ein paar Monaten in Paris aufgetaucht, Monsieur. Die Klatschspalten in der Zeitung sind voll von ihr. Sie gilt als Ballkönigin und Schönheit der Saison und so'n Quatsch. Monsieur sind wohl nicht von hier? Vivien Lafayette besucht Operettenpremieren von diesem Offenbach oder wie der Typ heißt. Sie ist einfach überall, wo sich die reichen Spießer rumtreiben. - Als Ihr nach der Schnalle fragtet, hab ich gedacht, Ihr wolltet mich hochnehmen.«
»Ich bin wirklich nicht aus Paris«, sagte Zamorra, was noch nicht einmal gelogen war. »Und wo findet man Mademoiselle Lafayette, zum Beispiel heute?«
Der Apache hob die Schultern.
»Ihr gehört 'ne Riesenvilla oben im Norden der Stadt, im Sechzehnten, wo die feinen Pinkel hausen. Nicht persönlich gemeint, Monsieur.«
Zamorra zog eine Zwischenbilanz. Es passte alles. Als Vampirin konnte Vivien Lafayette nur nachts auftreten. Sie begab sich in die gute Gesellschaft, um Kontakte zum Kaiserlichen Hof zu knüpfen. Und das alles mit dem Ziel, Napoleon III. durch einen Blutsauger zu ersetzen.
Bevor der Parapsychologe seinen Gedanken weiter nachhängen konnte, gab es einen lauten Knall. Es klang, als wäre die Hintertür der Kaschemme gesprengt worden.
Durch den Vordereingang strömten plötzlich Dutzende von Flics herein. Sie hatten Revolver in den Händen.
Die Gäste sprangen auf. Die meisten von ihnen sahen aus, als ob sie jede Menge auf dem Kerbholz hätten.
Doch die Polizisten hatten keinen Blick für die Apachen und anderen Ganoven, für die Prostituierten und Taschendiebe, Schläger und Trickbetrüger.
Sie stürzten sich auf Zamorra.
Bevor der Dämonenjäger reagieren konnte, waren ein Dutzend Revolvermündungen auf ihn und Nicole gerichtet!
Der Laufschritt von weiteren genagelten Schuhen hallte im Gang.
Ein Mann betrat das Kellerlokal. Er trug einen Zylinder. Durch ein Monokel funkelte er den Dämonenjäger Unheil verkündend an.
Einer der uniformierten Polizisten salutierte.
»Wir haben den Lumpenhund arrestiert, Monsieur le Commissaire! Das ist Zamorra - der gefährliche Anarchist, der den Kaiser ermorden will!«
***
Vivien Lafayette lächelte.
Andächtig kniete sie vor dem Thron des Vampirdämons, der schon bald die Stelle von Napoleon III. einnehmen sollte.
Die Nachtkreatur residierte in einer düsteren Höhle, die durch eine schwarzmagische Schleuse direkt mit dem Keller von Viviens Haus verbunden war.
Die Wände dieser Höhle bestanden aus düsterem Gestein, über das ständig Bäche von Blut rönnen. Der Thron der Bestie war aus Schädeln gefertigt worden.
Der Dämon selbst hatte einen Körper, der an den einer riesigen Ratte erinnerte. Doch auf diesem Nagerkörper saß ein Kopf, der dem eines Affenmenschen glich.
Doch die riesigen Fangzähne wiesen auf den vampirischen Ursprung dieses Wesens hin.
»Was
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