0691 - Schwester der Nacht
wirkte.
Die Riesenfledermaus Eliphas blieb für Nicole Duval unsichtbar. Vivien Lafayettes dämonischer Helfer flog nämlich direkt über dem Kutschendach.
***
Comte Emanuel de Mabillon war schockiert.
Der Kammerherr des Kaisers von Frankreich hatte im Palais du Luxembourg ja schon viele seltsame Menschen empfangen, die um eine Audienz bei Seiner Majestät gebeten hatten.
Aber diese bildhübsche junge Dame in Begleitung zweier Messerstecher von der Place Pigalle - das war zu viel!
»Ich bin nicht sicher, ob Seine Majestät Euch eine Audienz gewähren kann«, sagte der Kammerherr mit seiner hochnäsigsten Stimme.
Die meisten Untertanen ließen sich schon von dem kleinen Saal in dem Palais unweit der Seine einschüchtern, in dem de Mabillon die Bittsteller empfing.
Der Graf selbst hatte die scharfgeschnittenen Gesichtszüge eines echten Blaublüters, dessen Familie schon seit Hunderten von Jahren im Dienst der Krone stand. Sein Gehrock und die übrige Kleidung waren von feinstem Schnitt.
Doch das reichte nicht aus, um eine Nicole Duval zu beeindrucken.
»Es ist eine Angelegenheit von höchster Dringlichkeit, …äh ....Euer Hochwohlgeboren«, flötete die Dämonenjägerin. Sie war sich nicht sicher, wie man so eine Figur aus dem Hochadel anzureden hatte.
Jedenfalls konnte der Kaiser bei der Polizei Dampf machen, um Zamorra freizulassen. Und außerdem Vorkehrungen für seine eigene Sicherheit treffen. Und darum musste sie, Nicole, Napoleon III. so schnell wie möglich sprechen!
Mit wichtiger Miene begann der Kammerherr, in einem dicken Buch zu blättern, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Er tunkte bereits seinen Federhalter in das Tintenfass.
»Ich will sehen, was sich machen lässt… vielleicht bei der Volksaudienz am. 25. Oktober…«
»Nein!« Nicoles Aufschrei klang wie ein Peitschenknall durch die ehrwürdige Atmosphäre des Empfangssaals mit den Seidentapeten und den prunkvollen Gemälden, die französische Könige darstellten. »Heute noch, euer Hochwohlgeboren! Es geht um das Leben des Kaisers!«
Emanuel de Mabillon hatte immer geglaubt, er könne Untertanen gut abwimmeln. Aber diese Demoiselle Duval erwies sich wirklich als harte Nuss. Außerdem irritierten den Kammerherrn die beiden Galgenvögel, die wie zwielichtige Schildwachen die attraktive junge Dame einrahmten.
Die Apachen hatten ihre Hände tief in die Hosentaschen versenkt. Allerdings schien ihnen die Situation genauso unangenehm zu sein wie dem Comte. Doch das war auch kein Trost.
»Das kann ich nicht allein entscheiden«, schnarrte der Kammerherr schließlich. »Wenn Ihr mir bitte folgen würdet…«
Nicole Duval hatte keine Uhr aus der Zukunft mitgebracht. Doch als sie mit ihren Begleitern das Palais du Luxembourg betreten hatte, schlug die Uhr der nahen Kirche St. Sulpice zehn Uhr morgens.
Bei Einbruch der Dunkelheit war sie immer noch nicht bis zum Kaiser vorgedrungen. Der Kammerherr hatte Nicole und die beiden Apachen in die Dienstzimmer von unzähligen Beamten geschleppt, die mitentscheiden sollten. Zwischendurch mussten die drei Untertanen immer wieder stundenlang auf harten Bänken in zugigen Fluren warten.
Zu essen gab es nichts. Zum Glück hatte Petit wenigstens eine geklaute Salami in seiner Jackentasche. Er teilte die Wurst großzügig mit Nicole und Jacques.
Die Dämonenjägerin war in Gedanken bei Zamorra. Sie hoffte darauf, dass sich seine Unschuld von allein herausstellen würde. Doch verlassen konnte sie sich darauf nicht. Wenn Dämonen eine Falle stellten, taten sie das sehr gründlich.
»Dieser verdammte Kaiser!«, fluchte Jacques, als sie wieder einmal auf einer Holzbank hocken mussten. »Mit einer Republik waren wir doch besser bedient!«
»Halts Maul!«, knurrte Petit, der sich gerade das letzte Wurstende in den Mund schob und sein Klappmesser wieder einsteckte. »Oder willst du unbedingt hängen?«
In diesem Moment öffnete sich die Tür des Büros, in dem der Kammerherr verschwunden war.
Emanuel de Mabillon grinste so breit, wie es seine Würde gerade eben zuließ.
»Ich habe erwirken können, dass ein Offizier der Kaisergarde Euren Ausführungen lauschen wird, Mademoiselle. Wenn Ihr ihn von der Dringlichkeit Eures Anliegens überzeugen könnt, wird der Kaiser Euch noch heute Abend empfangen.«
Nicole atmete auf. Sollte sich diese ganze Warterei doch gelohnt haben?
Zwei Kaisergardisten begleiteten die drei Besucher in einen Nebentrakt des Schlosses, der offensichtlich als Kaserne für die Wache
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