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0695 - Blut an bleichen Lippen

0695 - Blut an bleichen Lippen

Titel: 0695 - Blut an bleichen Lippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Feuchtigkeit hatte sich auch sammeln können, und an manchen Stellen bildete sie kleine Pfützen, die wie ölige Inseln glänzten.
    Nichts kam mir fremd vor. Die Geräusche, die ich hörte, waren allesamt normal.
    Das Summen der Insekten, unsere Schritte, wenn sie durch das Gras schleiften, mal das Quietschen des Schlammes, wenn er durch unser Gewicht Druck bekam, und auch das leichte Kratzen, das entstand, wenn der Wind die Schilfrohre so bewegte, daß sie gegeneinander schabten.
    In dieser Wand existierte eine Lücke. Sie war von Menschenhand geschlagen worden und ließ einen faulig aussehenden Holzsteg sichtbar werden, der in den Schilfgürtel hineinführte.
    Mason Walker war neben mir stehengeblieben und deutete mit der Hand über den See. »Wo er endet«, erzählte er, »finden Sie den Kahn angetäut. Erwarten Sie kein Traumboot, Sie müssen sich schon mit einem Ruderkahn zufriedengeben.«
    »Danke.«
    Als ich gehen wollte, hielt mich der Küster fest. Er machte einen etwas verlegenen Eindruck, als würde es ihm schwerfallen, mich noch einmal anzusprechen. Dann tat er es doch und sagte mit leiser Stimme: »Glauben Sie wirklich, Mr. Sinclair, daß Sie die Lösung auf dem See finden werden?«
    »Ich rechne zumindest damit.«
    »Aber nichts beweist Ihnen, daß Sie den Geist hier finden werden. Oder rechnen Sie damit, daß er sich in der Tiefe aufhält, sich auf dem schlammigen Boden versteckt? Wenn ja, müssen Sie ihn dort suchen, aber Sie sind nicht wie ein Taucher ausgerüstet.«
    »Stimmt. Ich hoffe auch, daß ich nicht zu tauchen brauche. Ich sage Ihnen etwas anderes, Mr. Walker. Jeder Geist hat irgendwo eine Heimat, einen Ort, an den er sich zurückzieht. Ich bin der Meinung, daß dies der See sein könnte.«
    »Warum?«
    Ich lächelte ihn an. »Weil hier alles begonnen hat, wenn ich Ihren Erzählungen Glauben schenken kann.«
    Er räusperte sich, schaute mich an, dann nickte er. »Ja, es könnte stimmen. Hier hat tatsächlich alles begonnen.« Er schaute sich um, als könnte er die Erscheinung sehen, aber sie ließ sich nicht blicken.
    Nur das dichte Ufergestrüpp umstand uns, und vor uns lag der Schilfgürtel wie eine Mauer aus Röhren.
    »Gut, dann bis später«, erklärte ich voller Optimismus und betrat den Steg.
    Der Küster hob die Hand, um mir nachzuwinken, während ich auf das Boot zuging.
    Die Bohlen unter meinen Füßen bewegten sich. Sie waren weich, gaben deshalb nach, aber sie hielten. Ich konnte diese provisorische Brücke unbeschadet überqueren.
    Der Kahn war wirklich alt. An einigen Stellen schimmerten noch Wasserpfützen. Die Ruder waren eingeholt. Das alte Tau, das ihn festhielt, sah faserig aus.
    Ich stieg ein.
    Der Boden schwankte, und mein Wasserfahrzeug beugte sich schwerfällig nach vorn.
    Ich löste das Tau, um anschließend das rechte Ruderblatt in das Wasser zu stoßen.
    Die Schilfrohre umgaben mich wie starre Wächter. Jetzt, da ich saß, wuchsen sie so hoch, daß ich nicht über sie hinwegschauen konnte. Sie standen dicht an dicht, ängstliche Menschen hätten hier schon Platzangst bekommen können.
    Ich nahm auch das zweite Ruder, stieß mich abwechselnd ab, um die flache Uferregion zu verlassen.
    Dann klappte es besser. Ich konnte die Ruder bewegen und fuhr hinaus auf den See…
    Mason Walker, der Küster, war allein zurückgeblieben und fühlte sich beileibe nicht wohl.
    Obgleich er sich in der Natur befand, kam er sich dennoch vor wie in einem Gefängnis. Es war ihm nicht möglich, sich frei zu bewegen. Er selbst hatte sich diese Grenzen gesetzt, und das wiederum war eine Folge seiner eigenen Psyche, denn ihr gegenüber fühlte er sich als Gefangener und auch wie ein Mann, der einen Stein in das ruhige Wasser geworfen hatte und sich die Wirkung anschaute, die die entstandenen Wellen anrichteten.
    Das Wasser lag da wie ein trüber Spiegel, über dem sich ein weiches Gespinst verdichtete.
    Es war der Dunst, der am Ende des Tages immer entstand und geisterhaft blaß über die Oberfläche kroch. Das war keine Gegend für Mason Walker. Nicht, daß er besonders ängstlich gewesen wäre, aber er spürte schon diese andere Atmosphäre, die sich ausgebreitet hatte und auch von ihm nicht zurückgedrängt werden konnte, denn er kam sich zwischen ihr vor wie ein Gefangener.
    Sinclair hatte es geschafft und den Schilfgürtel hinter sich gelassen. Mit ruhigen Bewegungen ruderte er der Mitte des Sees entgegen. Der Küster kam nicht umhin, den Mann zu bewundern, er selbst hätte es nicht

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