0695 - Blut an bleichen Lippen
kam ich hier weg? Und wo war mein Kreuz? Hatte ich es tatsächlich verloren?
Aber den leichten Druck der Kette merkte ich am Hals, nur der Druck des Kreuzes war von meiner Brust verschwunden.
»Der Kuß!« wiederholte sie und beugte sich tiefer. Für mich schien sich ihr Gesicht zu verändern.
Noch immer standen die Haare hoch. Sie bildeten einen borstigen Kamm, dem das Wasser nichts angetan und sie nicht einmal zusammengeklebt hatte. Ihr hexenhaftes Aussehen konnte nicht verändert werden. Da hatten sich der Kopf, die Beine und auch die Arme mit den Händen materialisiert, aber der Rest des Körpers war auch weiterhin in einem feinstofflichen Zustand geblieben.
»Jetzt!« keuchte sie und rammte ihren Kopf vor.
Im selben Augenblick erschien hinter ihr ein Schatten. Und dann hörte ich es klatschen.
Plötzlich zuckte ihr Schädel, als wären durch ihn schwere Stromstöße gejagt worden. Ich sah die Wolken, und ich sah auch die drei Riemen, die sich um den Kopf geschlungen hatten.
Da wußte ich, wer zugeschlagen hatte.
Suko!
***
Er trat nach dem Treffer einen Schritt zurück und hoffte, das Richtige getan zu haben.
Erst hatte er eine Silberkugel durch den Schädel jagen wollen, das war ihm nicht sicher genug gewesen. Er wollte einfach den direkten Erfolg haben und hatte sich auf die Dämonenpeitsche verlassen.
War es richtig gewesen?
Der Kopf zuckte von rechts nach links, er schnellte auch hoch, als würde dabei der Hals in die Länge gezogen.
Wieder strömte ein Zischen hervor, diesmal allerdings begleitet von einem hellen Splittern, das aufklang, als die Knochen des Schädels einzeln zerbrachen, dabei so etwas wie eine Fliehkraft bekamen und die dünne Haut auf dem Gesicht zerrissen, so daß die in Fetzen wegflog und dabei verging, wie auch der Rest des Körpers.
Er löste sich einfach auf, als wäre auch er von einem schrecklichen Schicksal befreit worden.
Ich war frei. Ich war außer Gefahr, und ich sah meinen Freund Suko breitbeinig vor mir stehen.
Noch war ich von der Rolle, denn Suko schwankte bestimmt nicht, weil er betrunken war, das lag an mir, denn mein Gleichgewichtssinn und der Kreislauf ließen noch zu wünschen übrig.
Suko kniete sich hin. »Alles okay, Alter?«
Ich grinste schief und spürte den Kloß in der Kehle. »Jetzt schon, mein Freund.«
Suko nickte. »Nicht, daß ich dir etwas vorwerfen will, aber es ist wie immer. Man kann dich einfach nicht allein lassen. Und wenn doch, muß man schnell genug sein, um dein Leben zu retten.«
»O ja.«
Er lachte und schlug mir leicht gegen die Schulter. Ich aber drehte den Kopf zur Seite, spie noch Flüssigkeit aus und stemmte mich dann langsam in die Höhe.
Suko half mir auf die Beine.
»Weißt du was?« sprach ich ihn an.
»Nein.«
»Eines hat mich der Fall gelehrt. Schutzengel sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.«
»Wenn du das sagst«, erwiderte mein Freund lachend, »dann wird es wohl stimmen…«
ENDE
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