0695 - Blut an bleichen Lippen
wissen, wie die Gestalt ausgesehen hat und was sie dann mit dem Unbekannten tat.«
»Er hieß Earl Temriß!« erklärte der Kollege. »Und war nicht der erste Tote gewesen, den man fand. Bisher haben sich keine Zeugen gemeldet, deshalb konnten wir auch Ihnen nicht Bescheid geben.«
»Ja, ich weiß.«
Mandy knetete ihre Finger. Sie hatte verweinte Augen. Die Pupillen wirkten auch jetzt noch wie wäßriges Glas. Bevor sie reden konnte, mußte sie einige Male schlucken.
»Beginnen Sie einfach dort, wo diese Erscheinung zum erstenmal zu Ihnen kam.«
Mandy holte tief Luft, trank noch einen Schluck Wasser, dann erzählte sie mit flacher Stimme. Sie hatte die Geschichte nicht zum erstenmal zum besten gegeben, wiederholte sie jetzt, und Suko schaute zu seinem Kollegen hinüber, einem älteren Mann mit Oberlippenbart, der hin und wieder nickte und die Worte der jungen Frau bestätigte, so daß Suko nicht mehr nachzufragen brauchte.
Fragen hatte er natürlich, die aber stellte er, als Mandy ihren Bericht beendet hatte.
»Sie sind also sicher, daß es sich bei dem Täter um keinen normalen Menschen gehandelt hat?«
»Ja, das bin ich mir.«
»Haben Sie Beweise?«
»Nein, nicht direkt, aber ich habe… ich habe erlebt«, sprach sie mit stockender Stimme, »wie diese Person verschwand und dabei nicht durch die Tür ging.«
»Sondern?«
Sie rückte erst nicht mit der Antwort heraus und wirkte so, als wäre es ihr unangenehm.
»Bitte, Mandy, Sie müssen alles sagen. Was es auch ist, Ihnen wird der Kopf schon nicht abgerissen.«
Sie nickte. Ihr Gesicht hatte sich jetzt gerötet, dann sagte sie sehr leise: »Durch die Wand…« Sie wartete wohl darauf, ausgelacht zu werden, aber keiner der beiden Männer verzog eine Miene.
»Sie… Sie glauben mir?«
»Wenn Sie das sagen.«
»Aber das ist…«
»Nichts ist unmöglich, Mandy«, sagte Suko und gab seiner Stimme einen warmen Klang. »Es ist nicht der erste Mord, der auf diese Art und Weise begangen wurde. Nur sind Sie die erste Zeugin, die sich gemeldet hat, und das ist super.«
Mandy nickte, schaute ins Leere und meinte: »Wenn die Erscheinung nicht gewesen wäre, dann wäre ich jetzt tot. Der hätte mich bestimmt umgebracht, ich habe ihn doch erkannt.«
»Möglich«, gab Suko zu. Dann fragte er nach einer genauen Beschreibung der Person.
Mandy erschrak. »Soll ich Ihnen die geben?«
»Wenn es eben geht.«
»Aber das ist… das ist alles so schnell gegangen. Sie… sie war ein Geist.«
»Hatte er ein Gesicht? Oder bestand alles nur aus fließenden Schemen? Sie wissen schon, was ich meine.«
Mandy nickte, überlegte, schneuzte ihre Nase und meinte dann: »Eigentlich nicht, denn er hat ihm ja das halbe Gesicht weggerissen. Und Geister sind doch nicht so wie wir. Aber trotzdem…«
»Denken Sie an eine Mischform, Mandy?«
Sie lächelte Suko an und war wohl froh über den Tip, den sie bekommen hatte. »Ja, Inspektor, so muß es gewesen sein. Vielleicht eine Mischung aus Mensch und Geist.«
Suko nickte.
»Sie glauben mir noch immer?«
»Sicher.«
»Andere hätten…«
Sie brach mitten im Satz ab, als sich das Telefon meldete. Der schnurrbärtige Beamte hob den Hörer ab, meldete sich, lauschte einen Moment und reichte den Hörer an Suko weiter. »Für Sie, Inspektor. Ein gewisser John Sinclair.«
»Oh - danke.« Suko freute sich, etwas von seinem Partner zu hören, der einer Sache nachgehen wollte, an die er so recht nicht geglaubt hatte. Da war irgend etwas mit einem ungewöhnlichen Vorgang in einer Kirche gewesen.
»John, du kannst herkommen, denn ich habe hier einen Fall, der hat sich…«
»Nein, Suko.«
Die hart klingende Stimme seines Freundes stoppte den Inspektor. Wenn John so sprach, dann hielt er etwas in der Hinterhand, das nicht zu verachten war.
»Ich höre.«
Und Suko hörte tatsächlich. Immer wieder gibt es Augenblicke, wo selbst ein Mann wie Suko noch das große Staunen überkommt. Das hier war ein solcher.
Er wollte kaum glauben, was er erfuhr und lachte noch auf, bevor er versprach, so rasch wie möglich bei diesem Teich oder See zu erscheinen, um den Freund zu unterstützen.
Zwei Augenpaare schauten ihn erstaunt an, als er den Hörer kopfschüttelnd auflegte. Seine nächsten Sätze stießen einerseits auf Bewunderung, andererseits auf Unverständnis. »Ich glaube, daß dieser Fall so gut wie gelöst ist.«
»Wie… wieso gelöst?« fragte der Kollege.
»Wir wissen, wer der Mörder ist.«
»Der… der Geist?«
»So ist es.«
Das
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