0696 - Im Bann des Verfluchten
Vollstreckern der Organisation. Wahrscheinlich würden sie den Ort auf den Kopf stellen, wenn sie Colette nicht fanden. Sie würden sicher herausfinden, dass sie mit Edna zu dem Maler Rafugil gegangen war, denn der Patron wusste es ja.
All diese Gedanken verwischten und lösten sich auf, als sie die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte und das Atelier vor sich sah.
Sie war aus der Düsternis des Hauses hinein in eine andere Umgebung getreten und hielt unwillkürlich den Atem an, denn so etwas hatte sie nicht erwartet.
Das Licht brannte, aber es strahlte nur in eine bestimmte Richtung. Die kleinen Lampen waren an einer Lichtschiene festgeklemmt, die unter der Decke verlief.
Sie strahlten ihr entgegen und gleichzeitig über Colette hinweg und ließen die gewaltige Scheibe des Ateliers im Dunkeln. Das Glas schimmerte sehr dunkel und hatte einen irgendwie dumpfen Ton zwischen Blau und Schwarz. Colette wurde an einen starren Vorhang erinnert, der sich nicht bewegen ließ.
Sie konnte nur staunen und merkte kaum den Druck der Hand, die sie in eine bestimmte Richtung lenkte, sodass ihr Blick auf die Bilder fallen musste.
Vier Bilder waren es.
Obgleich die Strahlen auf die Gemälde fielen, waren die Motive nicht genau zu erkennen, was auch der Künstler selbst merkte, denn er schob die Frau noch näher heran.
»Sieh sie dir genau an«, flüsterte er, »schau genau hin. Sie sind etwas Besonderes.«
»Wie das?«
»Sie sind so echt…«
Nachdem er den letzten Satz ausgesprochen hatte, spürte Colette auf ihrem Rücken einen kalten Schauer. Das Wort echt hatte sie unsicher werden lassen. So sprach eigentlich kein Künstler von seiner Arbeit. Da stimmte etwas nicht.
Überhaupt sagte ihr die Atmosphäre nicht zu. Obwohl sie nicht unmittelbar bedroht wurde, kam sie sich vor wie eine Gefangene. Hier war einiges anders als in der übrigen Welt, diese hier schien nicht mit Luft, sondern mit Schatten angefüllt zu sein, die jeder einatmete, wenner Atem holte. Colette kam sich trunken vor. Manchmal konnte sie nicht normal sehen, da fing die Umgebung an zu tanzen, sie schien dann von einer Seite auf die andere zu schwanken, nach vorn und wieder zurück zu gleiten. Dann war es ihr, als müsste sie erst wieder Atem holen, um ihre ursprüngliche Haltung einnehmen zu können.
Eine Welt mit anderen Gesetzen, die mit den irdischen kaum zu vergleichen waren.
Es fiel ihr schwer, dies alles zurückzudrängen und sich zunächst auf die Bilder zu konzentrieren.
Colette hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, immer zuerst nach den Rahmen zu schauen. Das tat sie bei jeder Ausstellung, denn erst der Rahmen zusammen mit dem Bild vermittelte den Gesamteindruck. Alles andere war für sie uninteressant.
Es waren düstere Rahmen, deren Farbe sie nicht genau erkennen konnte. Da sie das Licht allerdings an gewissen Stellen reflektierten, ging sie davon aus, dass sie lackiert worden waren.
Schwarz lackiert…
Sie spürte wieder den Druck in ihrem Innern. Das Gefühl wehrte sich gegen die äußeren Bedingungen und auch gegen die Motive der drei großen Gemälde.
Der Künstler hatte zahlreiche Farben verwendet und sie miteinander gemischt. Zumeist waren es dunkle Farben. Blau, dann die Farbe Grau, aber zumeist herrschten Rottöne in allen Variationen vor.
Vom sehr hellen, schon blutigen Rot, bis hin zu einer Farbvariation, die mehr ins Violette tendierte und zusätzlich von einem dichten Schwarz gefüllt worden war. Vergeblich versuchte sie, Motive in den Bildern zu erkennen.
Die Farben bildeten ein Kaleidoskop aus düsteren Stimmungen.
»Du musst noch näher heran!«, wisperte hinter ihr der Maler. »Dann erst kannst du es sehen.«
»Ja, ja, schon, gut.«
Sie traute sich kaum, aber sie war dazu gezwungen, wenn sie die körperliche Nähe des Malers nicht so unmittelbar spüren wollte. Sie konnte ihn auch riechen. Von seiner Kleidung strömte ein ungewöhnlicher Geruch aus, so muffig und feucht.
Ihre wuscheligen Haare schienen unter der bedrückenden Spannung zu knistern, als sie die nächsten Schritte ging und sich auf das linke Bild konzentrierte.
Es zeigte das gleiche Motiv wie die drei anderen auch, aber da war etwas in der Mitte.
Mein Gott, das…
Sie hielt den Atem an.
Hinter ihr lachte der Maler.
Colette ging noch einen Schritt vor. Sie war jetzt so weit, dass sie alles sehen wollte, auch wenn die Ahnung, die sie anfiel wie ein Tier, ihr eine nie gekannte Furcht einjagte und sie sich vorkam wie jemand, der vor einem
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