0699 - Das Erwachen der Hexe
mein Freund, so haben wir nicht gewettet, du wirst es dir ansehen.«
»Nimm es weg! Es, - es quält mich…«
»Das weiß ich. Und ich werde dir den Gefallen auch tun, aber erst, wenn du geredet hast.«
»Was denn?«, sprudelte er zusammen mit Speichel hervor. »Was soll ich denn sagen?«
»Ich will wissen, wo sich Tricia Bell aufhält. Das ist alles. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Bei Assunga.«
»Das wissen wir auch. Aber wo finden wir sie? Bestimmt nicht einfach auf der Straße…«
»Nein, nein…«
»Wo dann?« Ich sprach die Worte jetzt hart aus. Sehr schnell und scharf hintereinander.
»In London.«
»Das hatte ich mir fast gedacht, mein Freund!« Ich brachte das Kreuz näher an sein Gesicht heran.
»Noch eine derartige Antwort, und es wird dich berühren!«
Es sah so aus, als wollte er uns entgegenzucken. Dann blieb er liegen und schrie: »Das kannst du nicht machen!«
»Doch, ich kann. Vorausgesetzt, du redest nicht!«
Zengo brach zusammen. Das heißt, er wirkte so, als hätte ihn die Widerstandskraft seines Körpers verlassen. Er lag auf dem Rücken und jammerte vor sich hin. Aus seinen Augen strahlte mir die nackte Angst entgegen.
»Nun?«
»Ich kann…«
Meine Hand mit dem Kreuz näherte sich noch mehr seinem Gesicht. Nicht einmal eine Fingerbreite über sich sah er das matt leuchtende Silber, und er war völlig außer Kontrolle.
»Güterwagen - Bahnhof - Paddington…« So stieß er seine Antwort hervor und schluchzte nach jedem Wort auf, als würde er es gleichzeitig bereuen.
Ich schaute Suko an.
Mein Freund nickte. Auch er hatte die Worte verstanden und war ebenso überrascht wie ich.
Ich aber fragte weiter. »Der Bahnhof ist groß, auch der, wo die Güterwagen stehen. Ich will es genauer haben.«
»Am Ende, die ausrangierten Wagen in der alten großen Halle. Da sind sie.«
»Und was geschieht dort?«
»Nimm das Kreuz weg!«
Er hatte alle Kraft zusammengenommen und so laut gebrüllt, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte und seinem Wunsch dann nachkam. Auch ich drückte mich dabei zurück, was Zengo sehr genau beobachtet hatte und sich aufrichtete. Er glotzte mich an, wischte mit einer Hand über sein Gesicht und schüttelte den Kopf. »Was - was habe ich getan?« flüsterte er. »Was habe ich getan?«
»Genau das Richtige«, erwiderte ich und stand auf. Vom langen Hocken war ich steif geworden und spürte in den Knien ein Ziehen.
Ein heulender Laut begleitete mich. Aber es war kein Tier, das schrie, ein Mensch hatte diesen unheimlichen Ton abgegeben. Es war Zengo, der sich aufgerichtet und beide Hände gegen sein Gesicht gepresst hatte. Allerdings befand sich in Höhe des Mundes eine Lücke, sodass er heulen und auch sprechen konnte.
»Es ist vorbei…«, jammerte er mit lauter Stimme. »Ich - ich habe versagt…«
Es fiel uns schwer, seine Worte zu verstehen, weil sie immer wieder von diesen jammernden Lauten unterbrochen wurden. Erst jetzt war ihm richtig bewusst geworden, dass er die Schattenkirche verraten hatte und nicht wieder zurück konnte.
Trösten würde ich ihn nicht, da hatte er einfach zu stark für die andere Seite gelebt. Ich beugte mich nieder und sprach ihn in einer Pause an. »Sie haben das Richtige getan, Zengo, genau das Richtige. Die Schattenkirche wird nicht gewinnen, sie kann nicht gewinnen, sie ist einfach nicht stark genug.«
Er starrte mich an. Ich wusste nicht einmal, ob er mich auch verstanden hatte. Aus seinen Augen liefen Tränen, seine Haut war nass geworden. Tief in der Kehle entstand ein Knurren, als hätte er falsch nach Atem gerungen.
Dann nickte er.
»Sehen Sie das ein?«
Ich erhielt keine Antwort. Er blieb sitzen, drehte sich um und zeigte mir den Rücken.
Da er noch nicht aufstand, rechnete ich mit keiner Gefahr. Zudem dachte ich mehr an den Bahnhof und den Güterwagen.
Aber Zengo leimte uns trotzdem. Die blitzschnelle Bewegung konnten wir nicht verhindern. Er hatte irgendetwas aus der Tasche geholt, steckte es in den Mund, warf sich auf den Bauch, und dabei hörten wir es leise knirschen, als wäre Glas zerbrochen.
Und es war Glas…
Der Körper des Mannes zuckte hoch, er hob auch noch einmal den Kopf, röchelte dabei, dann fiel er wieder nach vorn und blieb starr liegen. Suko war schneller als ich, drehte den Mann auf den Rücken und leuchtete ihn an.
Vor seinen Lippen stand heller Schaum, der Mund war geöffnet, die Zunge hing ein Stück hervor, auch auf ihr sahen wir eine Schaumspur, in der noch kleine Splitter
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