0699 - Das Erwachen der Hexe
viermal mit der rechten Faust. Es war ein Zeichen.
Im Innern bewegte sich etwas. Dumpfe Schritte drangen an das Ohr der jungen Frau.
Einen Moment später wurde die Tür geöffnet. Mit einem harten Geräusch rollte sie in der Schiene nach rechts, eine Öffnung entstand, und der Widerschein eines flackernden Kerzenlichts erreichte auch Tricias Gesicht, wo er ein Muster hinterließ.
Ein Fremder stand dort und schaute auf sie nieder. Er war ebenso gekleidet wie Kyle.
»Es ist alles in Ordnung!«, erklärte dieser. Dann deutete er auf seine Gefangene. »Wir haben sie.«
Der andere Mann nickte. Er hatte ein dickes Gesicht und runde Wangen. Seine kleinen Augen funkelten. »Assunga hat bereits sehnsüchtig gewartet«, meldete er flüsternd.
»Steig ein!« Kyle drückte in ihren Rücken.
Sie hob das rechte Bein und stellte den Fuß auf eine nach außen hängende Tritthilfe.
Wer war Assunga?
Sie überlegte. Den Namen hatte sie schon gelesen, er hatte in dem Buch über die Schattenkirche gestanden. Plötzlich wusste sie genau Bescheid.
Diese Assunga war genau die Person, um die sich bei der Schattenkirche alles drehte.
Sie war die Hexe!
»Nein!«, hauchte sie. »Nein, ich…«
Kyle drückte sie vor. Beinahe wäre sie gestolpert, aber so wankte sie in den Güterwagen hinein, fand sich zunächst nicht zurecht und hörte dann, wie Kyle den Einstieg zuhämmerte.
Dieses verfluchte Geräusch hatte sich so endgültig angehört, als wäre ihr Leben jetzt vorbei.
Sie atmete durch die Nase. Die Luft war anders als draußen. Sie schmeckte nach Ruß, nach verbrannten Kräutern, was wahrscheinlich an den Kerzen lag, die in der linken Hälfte des Wagens standen, wo sich auch die Gesichter der Menschen abzeichneten, die auf Kyle und Tricia gewartet hatten.
Es waren die Mitglieder der Schattenkirche, und es waren ausschließlich dunkel gekleidete Männer.
Sie wirkten wie uniformiert. Sie wollten zeigen, dass sie zusammengehörten, dass sie einer Person dienten, eben dieser Assunga, von der Tricia nichts sah.
Kyle legte ihr seine flache Hand gegen den Rücken. Er drückte nicht einmal fest, aber gerade die eine Berührung reichte schon aus, um Tricia vorzuschieben.
Sie ärgerte sich darüber, dass sie ihm keinen Widerstand entgegensetzte, und musste zugeben, dass er sie doch sehr stark unter seiner Kontrolle hatte.
»Geh nach vorn…«
Es blieb ihr nur die Möglichkeit, auf die Versammelten zuzugehen, deren Gestalten im Licht der Kerzen seltsam weich und schwammig wirkten, gleichzeitig aber auch einen unheimlichen Eindruck abgaben, der auf Tricia nicht ohne Wirkung blieb.
Sie fror plötzlich, obwohl es im Wagon beinahe zu warm war. Jedenfalls stickig.
War das schon die Furcht vor dem Ende? Komisch, aber Tricia konnte sich vorstellen, dass sie aus dieser Falle nicht mehr herauskam. Die war einfach zu perfekt, und jeder der hier Anwesenden war ein potenzieller Feind und Gegner.
Sie musste auf die Männer zugehen, die sie anschauten und dabei keine Regung in ihren Gesichtern zeigten.
Als sie nahe genug an sie herangekommen waren, traten sie zur Seite, bauten sich anders auf und verdeckten mit ihren Körpern auch nicht mehr das Licht der Kerzen. Es konnte sich frei entfalten und fiel wie ein feurig gelber Schleier über einen Gegenstand, der auf dem Boden des Wagons stand.
Der Schreck durchfuhr Tricia Bell wie eine eisige Nadel, die einen Moment später brannte.
Vor ihr stand ein gläserner Sarg!
Das Licht tanzte über ihn hinweg, es schuf helle Flecken, aber auch Schatten, die wie kleine Monster zuckten, als wollten sie sich an der Oberfläche des Deckels oder an den Seiten einfach festkrallen, um den Sarg öffnen zu können.
Das Glas selbst zeigte einen rauchigen Glanz. Es war nicht so hell wie bei einer Fensterscheibe, eher zu vergleichen mit einem Material, das als Autofenster diente, um einen Teil der Außenwärme abzuhalten. Es war aber nicht der Sarg und auch nicht die für einen Moment aufkeimende Erinnerung an Schneewittchen, die ihr so große Angst einjagte, es war vielmehr die Person, die indem gläsernen Sarg lag. Es war eine Frau, eine uralte Frau…
Eine Hexe - Assunga!
Tricias Herz klopfte plötzlich schneller. Das genau musste die Person sein, über die sie zuvor nur gelesen hatte. Damals hätte sie nie gedacht, dass es sie auch in der Realität geben würde. Sie hatte alles für eine Spinnerei gehalten, aber nun musste sie sich den Tatsachen stellen.
Es war die Hexe!
Tricia zitterte. Am liebsten
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