07 - Asche zu Asche
Jackett, doch an den Füßen hatte er schon die Hausschuhe - seine Art, in aller Diskretion darauf hinzuweisen, daß er außer Dienst war. »Ich habe Sie gegen acht erwartet.«
Sie sahen beide zu der ruhig tickenden, alten Standuhr im Foyer. Zwei Minuten vor elf.
»Gegen acht?« echote Lynley verblüfft.
»Ja. Lady Helen sagte -«
»Helen? Hat sie angerufen?«
»Sie brauchte nicht anzurufen.«
»Brauchte nicht -?«
»Sie ist seit sieben Uhr hier! Sie sagte, Sie hätten ihr eine Nachricht hinterlassen. Sie hatte Sie so verstanden, daß Sie gegen acht zu Hause sein wollten. Darum kam sie gleich hierher und hat mit dem Essen auf Sie gewartet. Es ist jetzt leider nicht mehr gut; bei Pasta ist die Genießbarkeit äußerst begrenzt. Ich habe ihr gleich gesagt, sie solle besser nicht zu kochen anfangen, solange Sie noch nicht hier sind, aber sie wollte nicht auf mich hören.«
»Kochen?« Lynleys Blick schweifte zum Eßzimmer im hinteren Teil des Hauses. »Denton, soll das heißen, daß Helen das Abendessen gekocht hat? Helen?«
»Ganz richtig, und ich will lieber kein Wort darüber verlieren, was sie mit meiner Küche angestellt hat. Ich hab's schon wieder in Ordnung gebracht.« Denton klemmte die Handtücher unter den anderen Arm und steuerte auf die Treppe zu. Er wies mit dem Kopf nach oben. »Sie ist in der Bibliothek«, sagte er und begann, die Treppe hinaufzusteigen. »Soll ich Ihnen ein Omelette machen? Sie können mir glauben, die Pasta ist inzwischen versteinert.«
»Sie hat gekocht«, wiederholte Lynley staunend und ließ Denton ohne Antwort. Er ging ins Eßzimmer.
Die Fettuccine mit Garnelen und einer Beilage von verschiedenen Salaten und Spargel, drei Stunden zuvor angerichtet, sahen aus wie die Plastikmenüs, die man in den Fenstern der Restaurants in Tokio zu sehen bekommt. Helen hatte einen Rotwein dazu servieren wollen. Die Flasche war entkorkt, doch sie hatte noch nicht eingeschenkt. Lynley füllte die Gläser, die an den zwei gedeckten Plätzen standen. Er betrachtete das Abendessen. Er war neugierig, wie es schmecken würde. Seines Wissens hatte Helen nie zuvor in ihrem Leben ohne Hilfe eine Mahlzeit zusammengestellt.
Er nahm sein Glas Wein und ging langsam um den Tisch herum, wobei er jeden Teller, jede Gabel, jedes Messer musterte. Er trank langsam von seinem Wein. Als er einmal um den Tisch herumgeschlendert war, nahm er eine Gabel und spießte drei Nudeln auf. Gewiß, das Essen war eiskalt und auch mit der Mikrowelle nicht mehr zu retten, aber er wollte sich doch wenigstens eine Vorstellung machen können ...
»O Gott!« flüsterte er. Was, in Dreiteufelsnamen, hatte sie an die Soße gegeben? Tomaten natürlich, aber hatte sie tatsächlich Estragon anstelle von Petersilie genommen? Er spülte die Pasta mit einem kräftigen Schluck Wein hinunter. Vielleicht war es ein Glück, daß er drei Stunden zu spät gekommen war, um die kulinarischen Köstlichkeiten zu genießen, die auf diesem Tisch angerichtet waren.
Er nahm das zweite Glas und ging aus dem Zimmer. Wenigstens hatten sie den Wein. Es war ein anständiger Burgunder. Es hätte ihn interessiert, ob sie ihn selbst ausgesucht oder ob Denton ihn ihr aus dem Weinkeller heraufgeholt hatte.
Bei dem Gedanken an Denton mußte Lynley lächeln. Er konnte sich das Entsetzen seines Butlers - und sein Bemühen, es zu verbergen - vorstellen, als Helen seine Küche verwüstet und auf alle seine drängenden Vorschläge nur mit einem unbekümmerten »Liebster Denton, wenn Sie mich weiter so durcheinanderbringen, werde ich noch alles verpfuschen« reagiert hatte.
»Haben Sie übrigens Gewürze da? Gewürze sind nämlich das A und O einer guten Tomatenstoße, habe ich mir sagen lassen.«
Der feine Unterschied zwischen Kräutern und Gewürzen ging an Helen natürlich völlig vorbei. Sie hatte gewiß Muskat und Zimt mit ebensoviel Gusto in ihr Gebräu gekippt, wie sie Thymian und Salbei hineingestreut hatte.
Er lief die Treppe hinauf in die erste Etage. Die Tür zur Bibliothek war gerade so weit geöffnet, daß ein schmaler Lichtstreifen auf den Teppich im Flur fiel. Sie saß in einem der großen Ohrensessel am offenen Kamin. Der Schein einer Leselampe umgab ihren Kopf mit einer leuchtenden Aureole. Auf den ersten Blick schien es, als läse sie konzentriert in einem Buch, das aufgeschlagen auf ihrem Schoß lag; aber als Lynley sich ihr näherte, sah er, daß sie, die Wange in die Hand gestützt, eingeschlafen war. Sie hatte Antonia Fräsers Die sechs
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