07 - Asche zu Asche
Schwierigkeiten habe, Faraday zu glauben. Aber Lynley zweifelte gar nicht daran, daß die Videothek die Ausleihe bestätigen würde. - Nur - das war es ja gerade. Das Alibi war einfach zu perfekt.
»Olivias Freund?« hatte Miriam Whitelaw gefragt. »Aber wieso haben Sie dann Jimmy mitgenommen? Jean sagte mir, Sie hätten Jimmy mitgenommen.«
Nur zur Vernehmung, erklärte Lynley. Manchmal könne man sich gewisser Ereignisse besser erinnern, wenn einem die Polizei Denkanstöße gebe. Ob sich nicht vielleicht am Mittwoch abend noch andere Dinge zugetragen hätten, von denen Mrs. Whitelaw jetzt gern berichten würde? Dinge, die sie bei früheren Gesprächen unerwähnt gelassen hatte?
Nein, antwortete sie. Das gäbe es nicht. Er wisse jetzt alles.
Er war schweigend mit ihr zur Haustür gegangen. Das Licht im Korridor schien ihr ins Gesicht. Mit der Hand auf dem Türknauf blieb er stehen und drehte sich so abrupt um, als sei ihm plötzlich etwas eingefallen. »Ach, übrigens, haben Sie von Gabriella Patten gehört?« fragte er.
»Ich habe Gabriella seit Wochen nicht gesprochen. Haben Sie sie gefunden?«
»Ja.«
»Ist sie - wie geht es ihr?«
»Von einer Frau, die gerade den Mann verloren hat, den sie heiraten wollte, hätte ich etwas anderes erwartet.«
»Nun ja«, meinte sie. »Das ist eben Gabriella, nicht wahr?«
»Das kann ich nicht beurteilen«, gab Lynley zurück. »Ist es Gabriella?«
»Gabriella war es nicht wert, Ken die Füße zu küssen, Inspector«, betonte Miriam Whitelaw. »Ich wünschte nur, Ken selbst hätte das auch erkannt.«
»Wäre er dann noch am Leben?«
»Ich glaube schon.«
Jetzt, im helleren Licht an der Tür, sah er, daß sie sich erst kürzlich hoch oben an der Stirn geschnitten hatte. Ein Pflaster folgte ihrem Haaransatz. Ein Tropfen Blut, geronnen und dunkelbraun, war durch den Stoff gesickert. Sie hob eine Hand und strich mit den Fingern über das Pflaster. »Es war leichter.«
»Was?«
»Mir diesen körperlichen Schmerz zuzufügen. Als dem anderen ins Auge zu sehen.«
Lynley hatte genickt. »Das ist meistens so, ja.«
Jetzt ließ er sich im Wohnzimmer seines Hauses tiefer in den Sessel sinken. Er streckte seine Beine aus und warf einen abwägenden Blick auf die Whiskykaraffe neben seinem Glas. Doch er gab dem Impuls nicht nach, jedenfalls im Augenblick nicht, sondern legte die Hände unter dem Kinn aneinander und starrte zum Teppich hinunter. Er grübelte über Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen, über die Überzeugungen, an denen wir festhalten, über jene, für die wir öffentlich eintreten, und über die Liebe, die zum grausamen Moloch werden kann, wenn sie entartet, wenn die einst erwiderte Leidenschaft plötzlich zurückgewiesen wird oder wenn sie von Beginn an keine Erwiderung findet.
Es war nicht die Regel, daß blinde Liebe in ihrer Urgewalt ein Leben forderte. Die Preisgabe des Selbst an den Willen eines anderen hatte viele Gesichter. Aber wenn die Besessenheit lebensbedrohende Ausmaße annahm, dann war die Folge blinder Hingabe die Katastrophe.
Wenn es so in Kenneth Flemings Fall gewesen war, dann hatte sein Mörder oder seine Mörderin ihn zu gleichen Teilen geliebt und gehaßt. Seinem Leben ein Ende zu setzen, war für ihn oder sie ein Mittel der ewigen Verbindung mit dem Opfer gewesen; durch ihn hatte er oder sie zwischen Körper und Körper, zwischen Seele und Seele ein eisernes Band geschmiedet, das beide im Tod aneinanderkettete, wie es im Leben nicht möglich gewesen war.
All diese Überlegungen jedoch, erkannte Lynley, führten immer wieder zu Gabriella Patten und der Frage nach ihrer Rolle in diesem Drama. Er konnte Gabriella Patten nicht ignorieren, wenn er je der Wahrheit auf den Grund kommen wollte.
Die Tür öffnete sich lautlos einen Spalt, und Denton spähte diskret ins Zimmer. Als Lynley aufsah, trat er ein und kam zu ihm. Mit einem fragenden Blick nahm er die Karaffe vom Tisch. Auf Lynleys Nicken schenkte er noch einmal Whisky nach und stellte die Karaffe dann zu den anderen auf der Anrichte. Lynley mußte lächeln über diese subtile Art, seinen Alkoholkonsum zu rationieren. Denton machte das sehr geschickt, keine Frage. Solange er im Haus war, bestand kaum eine Chance zur Dipsomanie.
»Brauchen Sie noch etwas, Milord?«
Lynley bedeutete ihm, die Stereoanlage leiser zu drehen, und Bach versank im Hintergrund.
Lynley stellte die Frage, die er nicht zu stellen brauchte, da er die Antwort bereits dem Schweigen seines Butlers zu diesem Thema
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