07 - Asche zu Asche
sehen?«
»Sie ist immer noch meine Mutter, Chris.« Ich drückte meine Zigarette aus und schüttelte mir eine neue in den Schoß. Ich hielt sie in den Fingern, ohne sie zum Mund zu führen. Ich wollte gar nicht rauchen, ich wollte mich nur irgendwie beschäftigen, bis er reagierte. Aber er sagte nichts. Max war es, der antwortete.
»Du hast eine gute Entscheidung getroffen, Mädchen. Sie hat ein Recht, es zu erfahren. Und du hast ein Recht auf ihre Hilfe.«
Aber ich wollte ihre Hilfe nicht. Ich wollte im Zoo arbeiten, mit den Hunden am Kanal entlanglaufen, wie ein Schatten mit den Befreiern in die Labors huschen, mit Chris in Pubs auf unsere Siege trinken, am Fenster der Wohnung stehen, in der die Truppe sich zu treffen pflegte, und zum Gefängnis hinüberschauen und Gott danken, daß nichts und niemand mehr mich gefangenhielt.
»Es ist erledigt, Chris«, wiederholte ich.
Er umschloß seine Beine mit den Armen und legte den Kopf auf die Knie. »Wenn du es so willst«, sagte er.
»Ja. Will ich«, log ich.
18
Lynley wählte das erste von Bachs Brandenburgischen Konzerten, weil die Musik ihn an seine Kindheit erinnerte, an sorglose Streifzüge durch den Park des Familiensitzes in Cornwall, an Wettrennen mit seinem Bruder und seiner Schwester zu dem alten Waldstück, das Howenstow vor dem Meer schützte. Bach stellte keine Ansprüche, wie Lynley das bei den Russen immer so empfand. Bach war Luft und Schaum, die vollkommene Untermalung, wenn man Gedanken nachhängen wollte, die mit Musik nichts zu tun hatten.
Lynley schwenkte den letzten Schluck Whisky in seinem Glas, und Bernstein glühte wie Gold, als das Licht die Flüssigkeit traf. Er trank aus und stellte das Glas zu der Karaffe auf den Kirschholztisch neben seinem Sessel.
Er und Barbara Havers hatten sich nach ihrem gemeinsamen Abendessen in Kensington getrennt. Barbara hatte in der High Street die Untergrundbahn genommen, um zum New Scotland Yard zurückzukehren, wo sie ihren Wagen stehen hatte; Lynley hatte noch einmal einen Besuch in Staffordshire Terrace gemacht. Dem Nachdenken über diesen Besuch und dem Grübeln über den Grund seiner inneren Unruhe diente Bachs Konzert nun als Hintergrund.
Miriam Whitelaw hatte ihn wieder nach oben in den Salon geführt, wo eine Stehlampe aus Messing einen Ohrensessel in gelbes Licht tauchte, ohne die schattigen Tiefen des großen Raums zu erleuchten. Miriam Whitelaw, ganz in Schwarz, verschmolz fast mit dieser Düsternis. Aber sie schien ihn nicht absichtlich in diesen Teil des Hauses geführt zu haben, um sich in der Dunkelheit vor ihm und seinen Fragen verstecken zu können. Nein, sie schien schon vor seiner Ankunft dort im Dunkeln gesessen zu haben; sie sagte nämlich mit leiser Stimme:
»Ich kann Licht nicht mehr ertragen. Kaum trifft es mein Auge, überfällt mich die Migräne, und ich bin zu nichts mehr zu gebrauchen. Aber das will ich nicht.«
Langsam, jedoch in sicherem Wissen, wo jedes einzelne Möbelstück stand, bewegte sie sich durch das überladene Zimmer und knipste eine Lampe auf dem Klavier an. Dann eine zweite, die auf einem Klapptisch stand. Dennoch blieb das Licht gedämpft, matt wie das der Öllampen zur Zeit ihres Großvaters es gewesen sein mußte.
Sie sagte: »Die Dunkelheit hilft meiner Vorstellungskraft. Ich habe hier gesessen und versucht, mir die Geräusche wieder lebendig werden zu lassen.«
Sie schien die Frage zu ahnen, die Lynley, der im Schatten stand, auf der Zunge lag, denn sie erklärte leise: »Wenn Ken nach Haus kam, habe ich ihn immer erst gehört und dann gesehen. Zuerst das Gartentor, das zufiel. Dann seine Schritte auf den Platten im Garten. Dann hörte ich, wie die Küchentür aufging. Das alles habe ich mir vorgestellt. Diese Geräusche. Seine Heimkehr. Nicht ihn selbst, oder daß er hier wäre, bei mir im Zimmer oder auch nur im Haus. Das geht nicht. Aber wie es war, wenn er nach Hause kam. Die Laute, die seine Heimkehr immer begleitet haben. Wenn ich sie in meiner Phantasie wieder lebendig machen kann, habe ich das Gefühl, daß er nicht tot ist.«
Sie war zu einem Sessel gegangen, wo, wie Lynley sah, ein alter Cricket-Ball neben einem persischen Kissen lag. Sie setzte sich und schloß die Hände mit solcher Selbstverständlichkeit um den Ball, daß Lynley erkannte, daß sie so, mit dem Ball in ihren Händen, vor seiner Ankunft im Halbdunkel gesessen haben mußte.
Sie sagte: »Jean hat mich heute am späten Nachmittag angerufen. Sie sagte, Sie hätten Jimmy
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