07 - Old Surehand I
morgen laufen“, meinte Old Surehand.
„Habe nichts dagegen. Ist er herzu geritten, mag er hinzu laufen! Aber sein Häuptling, wie ist denn der in Eure Hände geraten?“
„Mr. Shatterhand hat ihn gefangen genommen.“
„Etwa auf der Insel?“
„Nein, sondern bei der Verfolgung auf dem See.“
„Also eine Seeschlacht. Müßt mir nachher erzählen, wie das zugegangen ist. Laßt Ihr den auch laufen?“
„Ja.“
„Schade! Er paßt besser zum Hängen als zum Laufen. Aber gebt ihn ja nicht eher frei, als bis Eure Waffen und alles, was die Indsmen Euch abgenommen haben, Euch wieder ausgeliefert worden ist. Ich bin nie ein Indianerfreund gewesen; sie taugen alle nichts und halten es für Schwäche, wenn man nachsichtig mit ihnen ist. Wenn er vorhin samt seinen hundertfünfzig Comanchen da im See ertrunken wäre, so hätte die übrige Menschheit nichts verloren; th'is clear!“
ZWEITES KAPITEL
In der Oase
Zwischen Texas, Arizona, Neu-Mexiko und dem Indianerterritorium, oder noch anders ausgedrückt, zwischen den Ausläufern des Ozarkgebirges, der untern und der obern Sierra Guadelupe und den Gualpabergen, rings eingefaßt von den Höhen, welche den obern Lauf des Rio Pecos und die Quellen des Red River, Sabine, Trinidad, Brazos und Colorado umgrenzen, liegt eine weite, furchtbare Strecke Landes, welche die ‚Sahara der Vereinigten Staaten‘ genannt werden könnte.
Wüste Strecken dürren, glühenden Sandes wechseln mit nackten, brennend heißen Felslagerungen, die nicht imstande sind, auch nur der allerdürftigsten Vegetation die kärgsten Bedingungen des kürzesten Daseins zu erfüllen. Schroff und unvermittelt folgt die kalte Nacht auf die Hitze des Tags; kein einsamer Dschebel (arabisch: Berg), kein grünendes Wadi (arabisch: Tal, Regenbett) unterbricht wie in der Sahara die tote, einförmige Wüste; kein stiller Bir (Brunnen) lockt mit der belebenden Feuchtigkeit eine kleine Oase hervor; sogar der durch den Steppencharakter vermittelte Übergang von den reich bewaldeten Berggebieten zum leblosen, sterilen Sandmeer fehlt gänzlich, und der Tod tritt dem Auge überall unverhüllt in seiner fürchterlichsten Gestalt entgegen. Nur hier und da steht – man weiß nicht, durch welche Kraft hervorgerufen und erhalten – ein einsamer, lederartiger Mezquitestrauch, gleichsam zum Hohn für den nach einem grünen Punkt sich sehnenden Blick, und ebenso erstaunt trifft man zuweilen auf eine wilde Kaktusart, die entweder nur in einzelnen Exemplaren steht oder Gruppen bildet oder auch weite, ausgedehnte Flächen eng bestandet, ohne daß man sich ihr Dasein enträtseln und erklären kann. Aber weder der Mezquite noch der Kaktus gewährt einen erfreulichen, wohltuenden Anblick; graubraun ist ihre Farbe und unschön ihre Gestalt; sie werden von dickem Sandstaub bedeckt, und wehe dem Pferd, dessen Reiter so unvorsichtig ist, es in eine solche Kaktuswildnis zu lenken! Es wird von den spitzen, haarscharfen und stahlharten Stacheln so an den Füßen verwundet, daß es nie wieder richtig laufen lernt; der Reiter muß das arme Tier sofort aufgeben, und wenn er es nicht tötet, so verfällt es dem elenden Schicksal, langsam umzukommen.
Trotz aller Schrecken, welche diese Wüste bietet, hat es doch der Mensch gewagt, sie zu betreten. Es führen Straßen durch sie, hinauf nach Santa Fé und Fort Union, hinüber nach dem Paso del Norte und hinunter in die grünenden Prärien und wohlbewässerten Wälder von Texas. Aber bei diesem Wort ‚Straße‘ darf man nicht an die Art von Wegebau denken, welche in zivilisierten Ländern diese Bezeichnung trägt. Wohl reitet ein einsamer Jäger oder Rastreador (Pfad- oder Goldsucher), eine Gesellschaft kühner Wagehälse oder ein zweideutiger Pulk Indianer durch die Wüste, wohl knarrt auch ein schneckengleich langsamer Ochsenkarrenzug durch die Einöde, aber das, was wir einen Weg nennen, das gibt es nicht, nicht einmal jene viertelstundenbreit auseinandergehenden Geleise, wie man sie in den Pampas Südamerikas oder in der Lüneburger Heide und dem Sand Brandenburgs findet. Jeder reitet oder fährt seine eigene Bahn, so lange ihm der Boden noch einige wenige Merkmale bietet, an denen er erkennen kann, daß er überhaupt noch in der richtigen Richtung ist. Aber diese Merkmale hören nach und nach selbst für das geübteste Auge auf, und von da an hat man die Maßregel getroffen, diese Richtung vermittelst Pfählen zu bezeichnen, welche in gewissen Entfernungen in den Boden gesteckt
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